Um sich der Astrologie auf wissenschaftliche Weise zu nähern, braucht es zunächst eine Definition ihrer Methodik. Diese erscheint zunächst leicht. Wo immer auf der Welt auch Astrologie betrieben wird, geht es um das Horoskop, den Stand der Planeten zur Geburt und die Auswirkung der Konstellationen. Die nahe liegende Frage scheint also die der Determination und Festlegung auf ein Schicksal zu sein, dass „in den Sternen steht“. Doch dies ist bei genauerem Hinsehen als Ausgangsstellung unpraktisch.

 

Mit den Sozialwissenschaften und insbesondere der Systemtheorie hat sich innerhalb der geisteswissenschaftlichen Fächer ein nicht-deterministisches Paradigma entwickelt. Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft und menschliche Biographien sind vielschichtig und multikausal, sie vorherzusehen heißt immer auch, selbst Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Die Fragestellung ist mit ein Teil des Prozesses der Untersuchung und wandelt sich mit ihr. Jede Bestimmung in Form von Gesetzmäßigkeiten, wie sie in Form physikalischer oder biologischer Naturwissenschaften existieren, wäre in den Sozialwissenschaften der Versuch der Erhebung eines Dogmas. Die gefundene Bewahrheitung wäre dann kein Beweis für die Richtigkeit der Theorie, sondern ein Hinweis auf die Unhinterfragbarkeit des Dogmas. Soziologische Fragestellungen ändern sich mit der Untersuchung des Geschehens.

 

Insofern bedingt die Suche nach „Beweisen“ in der Astrologie eine Theorie, die mit multiplen Faktoren und Variablenänderungen umgehen kann und die Frage der Determination grundsätzlich kritisch stellt. Ob ein Saturn hemmend wirkt, rigide gegenüber anderen ist oder im positiven Sinne Regeln setzend hängt von der Art der Frage ab, die ich stelle. Es ist einfach, sich darin bestätigt zu finden, das Mars aktivierend wirkt und Venus inspirierend ohne sich bewusst zu sein, dass diese Worte keine feststehenden Tatsachen beschreiben, sondern Momentaufnahmen sind. Das Auftauchen von „Synchronizitäten“ oder das mysteriösen Eintreffen von Voraussagen sind kein „Beweis“ unserer Schicksalsabhängigkeit, sondern Hinweise auf die Intention der Fragestellung und den dahinter liegenden gesellschaftlichen Duktus. Das Finden von „Treffern“ ist ein soziales Spiel im Bereich von Wahrsagerei, Mystik und Magie. Es hat nur bedingt mit Astrologie zu tun. Die fehlende Abgrenzung der Astrologie gegenüber Esoterik  erklärt, warum Astrologie von staatlicher, wissenschaftlicher oder religiöser Seite selten Anerkennung fand.

 

Astrologen beraten Menschen, die Entscheidungen zu treffen haben und an Diskretion  interessiert sind. Die Unsichtbarkeit der Macht  ist ein grundsätzliches, gesellschaftliches Phänomen, das durch die Mythen aller Zeiten beschrieben ist. In den Mythen und Märchen spiegelt sich die Situation der Ausgestoßenen, Benachteiligten und Stigmatisieren, die gegen die Übermacht des Systems antreten und dem „Schicksal“ wenigstens für einen kurzen Augenblick ein Schnippchen schlagen können. Die Inhalte dieser Erzählungen sind „Anleitungen zum Unglücklichsein“, sie behandeln Anekdoten um die Macht und ihre Psychologismen. Jeder, der sich anschickt, den Mächtigen selbst den Mechanismus der Volkspsychologie zu „verraten“ ist verdächtig. Genau dies muss aber ein Astrologe als psychologischer Berater der "Eliten“ (die sich seiner nicht ganz billigen Dienste vergewissern können) tun, um seinen Klienten ihre eigen Lage spiegeln zu können. Der Astrologe befindet sich also in der paradoxen Situation, die Mythen selbst mit zu kreieren, die seine eigenen Auftraggeber in ein fragwürdiges Licht setzen. Doch in dem Dilemma des „Verrats ihrer Herkunft“ befinden sich alle, die an der Macht teilhaben. Die Heldensagen von Odysseus und Ilias über Parzival und Don Juan bis zu den modernen Mythen der Herr der Ringe und Neo aus der Matrix beschreiben das Problem des Verlustes der eigenen Überzeugungen in der Arrangierung mit der Macht. Ihr Aufbau spiegeln den universellen Mechanismus der Unmöglichkeit, Einfluss zu nehmen ohne selbst korrumpiert zu werden.

 

Innerhalb des psychologischen Sprachpiels der „Mächtigen“ sind „Wahrheiten“ ausdrückbar, die auf eine andere Weise nicht sagbar wären und Machtstrukturen der Gesellschaft auf einer Metaebene beschreibbar. Indem die Ergebnisse der „Verhandlungen“ wieder zurückfließen in die Volksweisheit entsteht ein Austausch über die Bilder der Mythen, eine Vertrauensebene zwischen den Eliten, Emporkömmlingen und den „einfachen Geschichtenerzählern“ (heute: Journalisten, Romanciers, Internetblogger usw., deren Dienste sich dann verkaufen lassen, wenn sie einem Zeitgeist anpassbar sind, deshalb bin ich z.B. hier gezwungen, hier die wissenschaftliche Perspektive zu wählen, obwohl sie mir primär nicht liegt). Je stärker die Wandlungsprozesse der Welt werden, desto wichtiger wird das Individuum und die Erzählung aus der Ich-Perspektive.

 

Seit dem 15. Jahrhundert steht zunehmend nicht mehr die Eingebundenheit des Erzählers in dem von ihm wiedergegebenen Stoff im Vordergrund (der als bekannte Mythen vorausgesetzt wurde), sondern die eigene, individuelle Version. Mit dieser Zeit änder sich auch das Spannungsfeld der Macht. Der Humanismus fordert Gymnasien und Bildung für alle, politische Mitwirkung und Aufklärung. Seit dem 15. Jahrhundert hat sich auch die Astrologie gewandelt hin zu der modernen Form der individuellen Horoskope und der psychologischen, auf Selbsterfahrung ausgerichteten Deutung. Die Symbole sind dieselben geblieben, doch die Auslegung ist eine gänzlich unterschiedliche. Es ist ein Merkmal astrologischer Texte, dass sie schnell veralten und schon in der nächsten Generation nicht mehr dem Geist der Zeit entsprechen.

 

Wenn es also eine Determination gibt (und diese ist jedem augenscheinlich, der schon einmal sein eigenes Horoskop hat erstellen lassen), dann beruht diese auf einer komplexen Wechselwirkung der Statuten des jeweiligen Zeitgeistes und dem Wissen um einen darin liegenden unveränderlichen Mechanismus. Dieser ist in unserer Sprache über die Symbole der Mythen fest verankert sind.  Einen Beweis für die Astrologie wird man nur dann finden, wenn man die wenigen Experten für dieses Wissen dazu bringt, auf wissenschaftlich vergleichbaren Grundlagen zu arbeiten. Eine Astrologie ist aber in Indien, Russland, Europa und Südamerika eine vollkommen andere, auch wenn es derselbe Kosmos ist, auf den sie verweist. Selbst innerhalb derselben Kultur arbeitet fast jeder Astrologe mit unterschiedlichen Techniken. Diese ist kein „Geheimwissen“, doch sie ist auch so gut wie unerschließbar, da sie auf jahrelangen, persönlichen Erfahrungen beruht.

 

Wer in der Lage ist, den Mechanismen der jeweiligen Machtansprüche Bilder zu geben, die die dahinter liegende Wahrheit ausdrücken ohne zu provozieren, hat einen Einfluss auf das, was tatsächlich geschehen wird. Die „Eliten“ schätzen die „Weisheit des Volkes“, wie es sich über seine Mythen ausdrückt, sie bewahren aber auch eine natürliche Distanz, wo ihre Herrschaft gefährdet ist.[3] Insofern ist zu vermuten, dass die Abneigung der heutigen Wissenschaften gegenüber der Astrologie weniger von der potentiellen Angst vor Komprimitierung rührt, sondern einen Mechanismus der Macht selbst umschreibt. Niemand lässt sich gerne „in die Karten“ schauen.

 

Auf der anderen Seite muss aber auch die Astrologie, will sie im modernen Denken ernst genommen werden, die Sprache der Wissenschaft sprechen und die Argumente gegen sie wiederlegen können. Dabei geht es weniger um statistische Untersuchungen, als um die Hinterfragung der Mythen selbst in ihrer Auswirkung auf moderne Gesellschaft, insbesondere die Mythen der Technik, der modernen Medizin und Rechtsprechung, sowie der ökonomischen Modelle vom Marxismus und Kapitalismus bis zur heutigen Tendenzen des Neoliberalismus und seinen vielfältigen Gegenbewegungen in der Gesellschaft, die das Zusammenleben bestimmen. Es kann nicht die Aufgabe eines Astrologen sein, Weltbilder der Macht zu verfestigen und z.b. behavouristische Deutungsmuster anzugeben, die den Menschen auf seine biologisches Wesen reduzieren, z.B. nach der Art: „Saturn am AC schränkt die Arbeitsfähigkeit ein“ oder „Ein geschwächter Mars hält nicht lange durch“. Es geht eher darum, die Muster hinter so einem Denken aufzuzeigen und dem einzelnen zu helfen, sich seiner Abhängigkeit von Glaubensmustern bewusst zu werden.

 

Soziologie, Philosophie und Psychologie sollen helfen, dem Menschen ein sinnvolles, selbstkritisches Bild zu vermitteln in der Verschränkung der Systeme, die seine humanen Einstellungen regelmäßig untergraben. Insbesondere in Krisenzeiten vergessen die Menschen regelmäßig ihre Vorsätze einer menschlichen, gerechten Gesellschaft. Herrschende Systeme haben es dann leicht, das Leben als Überlebenskampf und Krise zu definieren und rigide Maßnahmen durchzusetzen, die nur schwer wieder änderbar sind. Tradition und Fortschritt sind zwei Seiten derselben Medaille des Erhalts von Menschlichkeit. Die Philosophie von Nietzsche und Heidegger über Sartre und Foucault bis Bourdieux, um nur ein paar Namen zu nennen, ist im Wesentlichen Systemkritik, die zu ihrer Zeit jeweils revolutionär war und wenig später schon ein Klassiker der Rezeption. Zu hinterfragen ist der Nutzen für den Menschen. Das Paradox der tendenziellen Unterwerfung der Sozialwissenschaften selbst unter die totalitären Strukturen des Staates (und damit auch der Interessen der großen Konzerne, des Militärs, der Gesundheitseinrichtungen und den staatlichen und kirchlichen Hilfseinrichtungen selbst) wird durch eine Anti-Psychiatrie und „schwarze Pädagogik“ nicht gelöst.  

 

Jeder Berater, sei es ein Therapeut, ein systemisch arbeitender Sozialarbeiter, ein Lebensberater oder Astrologe hat immer auch die Frage zu beantworten: Wem dienen meine Diagnosen und welche Art von Schicksal helfe ich für meinen Klienten zu manifestieren, wenn ich Krisen beschreiben helfe? Unser Schicksal steht weder in den Sternen, noch in den Genen, noch in der Erziehung unserer Eltern, sondern umgekehrt: Die gemeinsame Entwicklung gesellschaftlicher Aufgaben prägt die Sichtweise auf unsere Welt. Je mehr wir in diese Aufgaben eingebunden sind, desto freier sind wir in ihrer Gestaltung – umso mehr wird aber auch jeder Versuch der Einflussnahme als bedrohlich empfunden. Die Beratung sollte deshalb immer den schmalen Grat im Auge haben, auf dem sie unreflektierte  Vorurteile transportiert und in Gefahr ist, die intimen Aussagen des Klienten falsch zu bewerten.

 

Eine Psychologie als unkritische Dienerin des Systems wäre menschenverachtend, eine Astrologie, die den Menschen auf seine Anlagen reduziert, lebensgefährlich. Die Aufgabe aller Sozialwissenschaften ist die Vermittlung von kritischem Wissen, dass die eigene Situation im Mechanismus der Machtspiele aufzeigt und Selbstverständnis vermittelt, wo Gesellschaft nach Stigmatisierungen und Aussonderung verlangt. Jedes System produziert seine Mythen, die zu hinterfragen sind, der Kapitalismus etwa misst die Leistung seiner politischen Führungen an den Arbeitslosenzahlen, während er gleichzeitig Gewinn und Effizienz fordert. Der „psychiatrische Ausschuss“ aus diesem Prozess landet auf „der Coach“.  Jeder einzelne Mensch muss lernen, mit diesen Widersprüchen umzugehen und sich innerhalb des Systems zu arrangieren. Ziel jeder Beratung ist das autonome Individuum, dass die Mechanismen des Systems erkennt und nicht Teil der „Vorsehung“ wird (die immer eine technokratisch bestimmte ist), sondern sein Handeln selbst in den geringen Spielräumen leitet, die ihm bleiben und zu einem „Experten“ für sich selbst wird (und möglicherweise auch astrologisch kompetent).