Unsere Wahrnehmung wird durch innere Prozesse beeinflusst, die wir selbst nicht sehen können. Schon Aristoteles waren die unterschiedlichen Heuristiken unseres Urteils bekannt, beispielsweise der Effekt, dass wir bekannten Persönlichkeiten mehr Glaube schenken, als Unbekannten. Als Astrologe sollten wir uns der Subjektivität unserer Urteile bewusst sein und nicht in die Falle einfacher, statistischer Fehlurteile laufen.

 

aus meinem Artikel: Urteilsheuristiken in der Astrologie, Meridian 01/13

Astrologie beeinflusst den Blick auf unsere eigene Geschichte, indem sie Erwartungen beschreibt. Wir erzählen uns im Nachhinein das Geschehen, so dass es in eine vorstellbare Zukunft passt. Nicht nur die Zukunft ist schwer zu deuten, auch die gegenwärtige Empfindung unterliegt starken Wahrnehmungsverzerrungen. Menschen beurteilen ihr momentanes Befinden ganz anders, wenn ihnen vorher die Aufgabe gestellt wurde, ein Blatt zu kopieren und sie dabei ein 10 Cent Stück fanden.[1] Ihr gefühltes Lebensglück war etwa doppelt so hoch wie bei Probanden, die einfach nur nach ihrem derzeitigen Lebensglück gefragt worden sind. Sie fühlten sich nützlich und durch die Belohnung bestätig. Der Astrologe weiß nicht, was der Klient erlebt hat, bevor er in die Praxis kam. Die Beratung selbst ist schon eine Belohnung, die sich ein Mensch gönnt und erhöht seine Bereitschaft, auch unsinnigen Aussagen Glauben zu schenken und sich den Sinn der Beratung einzureden. Doch es gibt mehr Zufälle im Leben, als wir gemeinhin annehmen, Geschehen die keinen Zusammenhang haben, obwohl wir das annehmen.

Wie kommen wir allgemein zu Urteilen und Entscheidungen?  Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann sieht in unserem Gehirn zwei Entscheidungssysteme, die er System 1 und System 2 nennt. System 1 entscheidet spontan nach Intuition und Gefühl. Es ist für die groben Einschätzungen zuständig.  Wenn wir einem Menschen das erste Mal begegnen, wenn wir ein Essen von der Speisekarte auswählen, wenn wir die Rede eines Politikers hören, dann ist System 1 aktiv. Wir suchen nach Vergleichen und Indizien, die uns bekannt vorkommen, um eine ausführliche Urteilsfindung zu verkürzen. System 1 versucht, in allem einen Sinn und ein Muster zu erkennen und eine Kausalität im Nachhinein zu konstruieren.

Studenten in Amerika wurden beispielsweise gefragt, welche der folgenden Personen ihnen sympathischer wäre. Als Eigenschaften wurden genannt:

Alan: fleißig, impulsiv, Kritisch, eigensinnig, neidisch

Ben: neidisch, eigensinnig, kritisch, impulsiv, fleißig

Die überwiegende Mehrheit fand spontan Alan, den ersten Kandidaten sympathischer. Der Grund dafür ist der so genannte Haloeffekt. Wenn wir über eine Person ein erstes Urteil haben, dann ordnen wir die nachfolgenden Eigenschaften nach dieser Faustregel unter. Die Eigensinnigkeit von Alan wird als eine Notwendigkeit seines Fleißes und seiner Kritikfähigkeit beurteilt.[2] Der Haloeffekt ist dafür verantwortlich, dass uns Menschen nach einem guten ersten Eindruck insgesamt länger sympathisch sind und das wir länger brauchen, um danach die schlechten Eigenschaften herauszufinden. Um Urteilsfehler wie solche zu vermeiden gibt es ein zweites System, das Überprüfungen unserer Intuition vornimmt. System 2 ist in der Lage, ausführliche Überprüfungen unserer Urteile durchzuführen. Es erkennt nach Überprüfung Fehler von intuitiven Entscheidungen und findet rationale Gründe für ein bestimmtes Verhalten.

Warum überprüfen wir nun so selten unsere Intuition, dass es zu Fehlschlüssen wie im Beispiel von Ben und Alan kommen kann? Kahnemann behandelt in seinem Buch viele Beispiele und kommt zu dem Schluss, dass System 2 wichtig ist, um eine gute Intuition zu entwickeln, bei Überbeanspruchung kritischer Überlegungen kann es allerdings zu Einbußen der Intuition kommen. Während man Rechenaufgaben lösen muss, ist die Einschätzungsfähigkeit für soziale Situationen herabgesetzt.  Unser Gehirn lässt sich leicht ablenken und täuschen, während es  Schätzungen auf Prozesse in der Zukunft vornimmt. Es geht also um eine ausgewogene Nutzung beider Systeme. Astrologen ist diese Art von Arbeit bekannt. Sie überprüfen ihre Ersturteile wieder und wieder, um zu einer „runden“ Deutung des Horoskops zu gelangen ohne dadurch die intuitiven Urteile „abzuwürgen“.

Die Heuristiken werden von Gegnern gerne als Begründung aufgeführt, warum Astrologie nicht funktionieren kann. Beispielsweise steht auf der aktuellen wikipediaseite als Beispiel für eine Wahrnehmungsverzerrung: "Mein Freund ist ein Choleriker, ein typischer Widder." (Der Sprecher erinnert sich nicht daran, dass er schon hunderte "untypische Widder" getroffen hat, die nicht cholerisch veranlagt waren, und glaubt darum an die angebliche Verbindung zwischen dem Charakter und dem Tierkreiszeichen.)[3]

Das ist auf den ersten Blick richtig. Auf den zweiten Blick wird man bemerken, dass ein Mensch, der sich so ein Urteil erlaubt, schon viele Male derartige Schemen angewandt haben muss und sich der Relatitivität seiner Aussage bewusst sein muss. Sie ist ja gar nicht als unwiderlegbare Aussage angelegt, sondern als Hypothese, die sich in der Praxis erweisen muss. Ein Astrologe, der auf positive Weise viel mit Widdern zu tun hatte wird einen Choleriker anders beurteilen, als eine Harmoniebedachte Waage mit sensiblen Neptunaspekten. Es geht für astrologische Experten wie für alle Experten darum zu lernen, ihre Urteile von unabhängigen Instanzen überprüfen zu lassen und auf eine möglichste vergleichbare Ebene zu stellen.

Auch Wissenschaftler aufgrund einer Serie von Beobachtungen und Erfahrungswerten zunächst Hypothesen auf, die sie dann im Prozess der Datensammlung verifizieren.  Dabei laufen sie auch regelmäßig in die Fallen der Urteilsheuristiken, was dazu führte, dass wir heute beispielweise eine evidenzbasierte Medizin haben, die die Meinung der „Experten“ mit den Computerdaten abgleicht und Fehler minimieren hilft. Ähnliches gilt für den „Barnumeffekt“ der eigentlich nichts mit Astrologie zu tun hat. Eine beliebige Textaussage der Astrologie wurde von Probanden fast immer als hilfreich empfunden unabhängig davon, ob die Deutung aus ihrem Horoskop war oder ein Zufallsprodukt. Doch die Situation war keine Beratungssituation, sondern nur ein kleiner Ausschnitt davon. Von dem Ausschnitt aus das Ganze zu schließen ist weder wissenschaftlich noch situationsgerecht. Natürlich fühlen sich Menschen von psychologischen Aussagen angesprochen. Wesentlich ist, ob nach der Beratung eine Verhaltensänderung oder eine Verbesserung des Zustandes des Klienten festgestellt werden kann.

 


[1] Daniel Kahnemann, Schnelles Denken, Langsames Denken

[2] ebenda S. 109