Soziologische Theoriebildung

 

Aspirin gab´s nicht, da hab ich dir Zigaretten mitgebracht

 

Homer Simpson

 

Die moderne Astrologie hat mit der Hinwendung zur Psychologie einen großen Schritt in die Moderne gemacht. Sie ist in der mittelalterlichen Idee einer Universallehre zwischen Metaphysik und Kabbalistik  kaum mehr zu erkennen. Ihre Deutungsfunktionen sind klar herausgearbeitet und auf einer abgesicherten Basis fern von Beliebigkeit replizierbar. Doch von einer systematischen  Wissenschaft ist sie noch weit entfernt. Dazu müssten die Ergebnisse vergleichbar gemacht und in eine Theorie gebracht werden. Es sind weniger statistische Daten, als die Einbettung der Astrologie im alltäglichen Leben, d.h. die Frage, worin ihre empirisch konkrete Relevanz für die Gesellschaft besteht und welche Funktionen sie innerhalb der verschiedenen Systeme mit sozialer Intervention einnimmt.

 

Wären astrologische Deutungen frei von zeitlichem Bezug, wie etwa Tarotlegung oder das Werfen des  I-Ging-Orakels, dann ginge es nur um die Wirkung von Sprache innerhalb eines bestimmten Settings und die Aufgaben eines „Propheten“ für seine Gemeinde. Die Astrologie hat aber den Anspruch einer zeitlich-universalierbaren Symbolsprache, die durch die Bewegung der Planeten darstellbar ist und damit auch einen Objektivitätsanspruch an ihre Aussagen. Das macht die Sache schwieriger. Situationen und Ereignisse erscheinen im Lichte unserer Erwartungen als universell vorher „wissbar“. Da die Stabilität von Kommunikation an der Erfüllung von Erwartungen hängt sind wir geneigt, auch unwahrscheinlichen Kommunikationen im sozialen Kontext einen Möglichkeitsraum zu geben. Als Gegenleistung erwarten wir eine rationale Antwort, die diesen Möglichkeitsraum auf vernünftige Weise begrenzt. Astrologische Deutung läuft über eine Sprache, die von mythologischer Anspielung und traditioneller Symbolik duchzogen einen großen Möglichkeitsraum schafft und eine besondere Erwartung an eine vernünftige Auswahl der Interpretationsmöglichkeiten stellt.

 

Die Kunst der Deutung besteht darin, die eigenen Beobachtungen so systematisierbar zu machen und individuell auf einen so großen Bereich wie möglich, bzw. nötig auszudehnen und die jeweils herrschenden Paradigmen einer Wissenschaft in Bezug zu dem einzelnen Menschen zu setzen, dass eine Vertrautheit mit dem bisher unmöglich erscheinenden entsteht. Sie schafft damit Verbindung zwischen den unterschiedlichen Überzeugungssystemen. Ein Astrologe kennt die Eigenheiten der Menschen und kann ihren persönlichen Interpretationsansatz erkennen und aufgreifen. Seine Arbeit ähnelt der der sozialen Arbeit, die erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts ihren Platz in der wissenschaftlichen Methode gefunden hat, mit ihrer Methodik aber in inzwischen in alle Bereiche der Gesellschaft hineinragt, sei es die Emanzipation, Mediation oder Coaching, Organisation von Selbsthilfe, Kontrolle therapeutischer Intervention oder Gesellschaftskritik allgemein.

 

Das Werkzeug der Soziologie ist die systematische Beobachtung der sozialen Wirklichkeit mit ihrer ausdifferenzierten Funktionalität, den Rollenmustern und Idealtypen vor den jeweils gesetzten Rahmenbedingungen. Interventionskritik, Perspektivwechsel, Selbstbeobachtung und Methodenvielfalt sind praktische Voraussetzungen, um Überzeugungsmuster der Black Box und des Ego-Tunnel für soziale Wissenschaft vergleichbar und verhandelbar zu machen. Sie basieren auf verschiedenen Theorien, wie die der Idealtypen (Weber), Rahmenanalyse (Goffman), Diskursethik (Foucault, Derrida), Kommunikationstheorie (Habermas), Rollentheorie (Goffman), Symbolischer  Interaktionismus (Blumer, Mead), Grounded Theory (Anselm Strauss), Sprechakt-Theorie (Austin, Searle), kritische Theorie (Adorno/Horkheimer), der generativen Grammatik (Watzlawick, Chomsky), der Kybernetik (Förster, Bateson, Varela), phänomenologisches Lebensweltkonzept (Schütz, Husserl), Ethnomethodologie (Garfinkel), formale Soziologie (Simmel, Tönnies), Milieutheorie (Lepsius, Bourdieu), u.v.m.

 

Für den Pädagogen Jon Dewey war die wichtigste Instanz des Lebens die Verbesserung unserer Beziehungen und des emotionalen Selbstausdruck. [… Die letzte Bedeutung jeder Art von Beziehungen zwischen Menschen liegt in ihrem Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Erfahrung…][1] Sich einig zu werden über ein bestimmtes Ziel in der Zukunft, über den symbolischen und mimetischen Ausdruck der eigenen Lebenssituation, ist ein wesentliches Band zwischen Menschen, das im Sinne „pädagogischer Astrologie“ helfen kann, in der Bestimmung einer gemeinsamen Zukunft prägnante Merkmale und Erinnerungsmuster aufzubauen und sich gegenseitig im Aufbau von sinnstiftenden Bildern zu inspirieren. Von Anthony Giddens, Georg Simmel, Max Weber und Durkheim kann man sich praktische Denkweisen der Soziologie abschauen und Einsicht in die Grundlagen der Problemstellung gewinnen. Die Fragen des Astrologen sind für mich im Wesentlichen dieselben, wie sie Erving Goffmann es im Sinne des Selbstmanagment der eigenen Biographie formulierte: Was passiert gerade, was ist aktuell, wer ist „en vogue“, wer ist out, was für Beziehungen entstehen oder lösen sich auf, was für Konflikte sind da, was für Entwicklungs-Themen stehen an, was wird nicht gesehen, wo stehen wir, wohin gehen wir, was brauchen wir dazu, was hindert uns daran, wie nutzen wir unser Potential, was ist der richtige Zeitpunkt, welche Alternativen gibt es, usw.[2]

 

Beobachtungen müssen am aktuellen Geschehen bleiben und eine gemeinsame Bedeutung schaffen. Sozialarbeiter oder Astrologe und Klient werden nur dann Erfolg haben, wenn sie sich von den Konventionen lösen, die zu Ausgrenzung und Verhaltensauffälligkeit geführt haben und eine gemeinsame neue Sinnebene schaffen, auf der eine andere Perspektive entsteht, eine überraschende Lösung für beide durch das Einnehmen einer neutralen Beobachterrolle, der das Geschehen in einer neuen Weise interpretiert und wo die Interpretationsstränge so zusammenlaufen, dass sie einen akzeptablen Ausweg aus der Lage geben. Dieser Weg kann lang sein angesichts der Hoffnungslosigkeit von Biographien mit Alkohol, Drogenmissbrauch, Tablettensucht, Gewalt, Kriminalität, Arbeitslosigkeit, psychischen und physischen Erkrankungen usw. Erfolg in der Intervention wird es nur durch die Umschreibung der Bedeutung geben und die Gewinnung von Einsicht durch die Lage. Dazu muss eine vertrauensvolle Ebene geschaffen werden.   

 

Viele Philosophen der Neuzeit haben sich kritisch mit sozial-politischen „Zeit“-Fragen beschäftigt, wie etwa Gehlen, Heidegger, Weber, Foucault, Luhmann, Adorno, Husserl, Cassirer, Elias, Marcuse, James, Merleau-Ponty, Sartre, Gadamer, Derrida, Ricoeur, Plessner, Bergson, Popper, Dilthey oder Kierkegaard, die ich zitieren werde. Heidegger ist für die Astrologie vielleicht der wichtigste philosophische Autor, weil er versuchte, das Problem von Zeit, Entscheidung und Determination von allen erdenklichen Seiten zu beschreiben. Er ist allerdings nicht leicht zu verstehen; seine Entwürfe variieren teilweise stark von denen seines Lehrers Husserl und der Erkenntnistheorie Hegels und Diltheys’s und führen in eine hermeneutische Welt, die u.a. durch Ricoeur und Gadamer weiter geführt wurde.[3] Für ein astrologisches Verständnis des modernen Menschen im Zusammenspiel von Technik und Selbstreflexion ist meiner Meinung nach die philosophische Anthropologie von Arnold Gehlen, Max Scheler, Ernst Cassirer, Hans Blumenberg und Helmut Plessner am vielversprechendsten, weil sie einen Mittelweg zwischen den ideologisch geprägten Schulen der Soziologie geht.

 

Die philosophische Anthropologie lässt sich weder auf soziobiologische, darwinistische und behavioristische Denkweisen ein, noch auf marxistische und sozialistische und beschreibt den historischen Menschen ohne ideologische Brillen als einen Gefangenen der selbst geschaffenen Institutionen, die ihm aber im Rahmen ihrer Regeln einen gewissen Freiraum gewähren. Der Moderne in ihrer Totalität der Institutionalisierung ein menschliches Antlitz zu entlocken und die Vorgänge der Benachteiligung und Ausgrenzung akribisch zu beschreiben und immer wieder daran zu erinnern, dass wir es letztendlich mit Menschen zu tun haben ist eine große Aufgabe, der sich auch die Astrologie nicht entziehen kann, insofern als sie in ihrem Denken zu leicht das Systematische in den Vordergrund stellt und den Menschen vergisst.

 

Wo eine Bereitschaft da ist, sich auf Neues einzulassen, aktiv Verantwortung zu übernehmen, verändern sich die Variablen, die Wörter, jetzt, heute, die Benennung exakter Stunden und Tage schafft Raum für Möglichkeiten und Variationen. Für den, der wirklich jede Stunde in sein Horoskop guckt, mag es eine determinierte Zukunft geben, ansonsten sind wir ja gerade für die Überraschungen dankbar, die das Schicksal für uns bereit hält und Abwechslung im Leben schafft. Zeitliche Einteilung bleibt alltagssprachlich gerne unbestimmt, damit sie Raum schafft. Die unsere Vorstellungen begleitenden Mythen werden von der Astrologie in einen zeitlichen Bezug gesetzt und schaffen über die metaphorische Bedeutungsebene den Eindruck einer Bestimmung. Diese darf allerdings nicht den Eindruck der Einflussnahme erwecken, womit ihr durch die gesellschaftliche Konvention Grenzen gesetzt sind, die es immer wieder neu zu bestimmen gilt. Wann und wo astrologische Aussagen bemerkt oder unbemerkt Wirkung erzielen hängt nicht zuletzt vom „Zeitgeist“ ab.

 

Soziale Teilhabe bedeutet vor allem Vorbereitung auf die Situation der Ausgrenzung, Entwickeln von Handlungsstrategien im Umgang mit emotionalen Reaktionen, die der äußere Ausdruck von Geschehnissen sind, die die Funktion des Systems gefährden. Antworten finden auf die eigenen Mechanismen und Strukturen, mit denen wir uns in der Welt konfrontieren; mittels Mythen, Parabeln, Gleichnissen einen Sinn für das Geschehen schaffen, der das "Ungeliebte" in dem Moment integrieren hilft, wo es erscheint. Denn dieser aus der Kompensation des Unerlösten resultierende "2. Schatten" ist nichts anderes als der letzte Schritt zur Umwandlung, als das Tor zur Erlösung und Schaffung neuer Sinnebenen, auf denen die eigenen Mechanismen und Ausdrucksweisen verhandelbar und akzeptabel werden, indem es einen Mechanismus angibt,  zurück integriert zu werden. Das Sichtbarwerden der Fähigkeit zur Reflexivität und Rekursivität schafft den objektiven Zeitrahmen in dem wir uns selbst in Vergleich zum gesellschaftlichen System mit seinen Traditionen und Werten erleben, ja das Erleben von Zeit entsteht erst aus dieser Fähigkeit zur Reflexion, während für ein Tier wahrscheinlich jedes Geschehen augenblicklich ist und mit dem Augenblick vergangen.

 

Der Eindruck eines dauerhaften Bewusstseins entsteht für Bergson durch die Vermischung von Wahrnehmung und Erinnerung. Es kann für ihn keinen Wesensunterschied zwischen den äußeren und inneren Wahrnehmungen des Gehirns und Nervensystems geben. Das Gehirn konstruiert eine dauerhafte Wahrnehmung durch eine Kombination mechanischer Vorstellungen von Funktionen und dazu passenden Gefühlen.[4] Bergson gibt das berühmte Beispiel des Stücks Zuckers, das sich vor unseren Augen auflöst. Die Zeitpunkte seiner Verwandlung sind nicht einzeln bestimmbar und doch haben wir eine Vorstellung eines Ganzen des Ablaufs, die von unserem Gefühl zu diesem Zuckerstück beeinflusst ist. Wir erleben seine Verwandlung nach einer Erwartung, der zeitlicher Verlauf die Illusion eines geschlossenen, kausal ablaufenden Vorgangs gibt, der für uns eine persönliche Bedeutung besitzt. Diese inneren Konzepte einer ablaufenden Dauer müssen immer mit dem äußeren Geschehen in Abgleich gebracht werden. Dazwischen steht der emotionale Apparat, der sich selbst nicht beobachten kann.

 

Schon William James hatte um 1900 in seiner Theorie den zeitlichen Verlauf von Affektregungen als Folge von Außenreizen in Frage stellt und stattdessen eine innere Steuerung der Wahrnehmungen angenommen, wie sie heute weitestgehend von der Neurowissenschaften als Modell dient. Für die Astrologie bedeutet dies: Wenn schon Neurologen und Physiologen nicht in unser Gehirn schauen können und Verhaltensmuster adäquat aufzeigen, dann können wir dies auch nicht für die Astrologie beanspruchen. Unsere Wahrnehmungen und Instinkte gehen durch einen internen Filter, der für uns eine Black Box bleiben muss, die kausales, abfolgendes Zeitgeschehen in subjektives Empfinden von unebstimmter Dauer verwandelt. Wir können uns der Funktion dieser Box nur indirekt nähern durch die Prämissen unserer Theorien, die wir an ihre Operationen richten und anhand derer wir zu beweisen versuchen, was zwischen Input und Output geschehen ist. Ein Zeitgeschehen ist immer ein im Nachhinein interpretiertes. Die Planeten wirken nicht auf unser Verhalten; unsere Erinnerung an die vorgestellt Zukunft wird parallel gesetzt mit ihrer Symbolik.

 

Das Tier handelt nicht in Bezug auf seine eigene Geschichte, weil es nicht auswendig sprechen und schreiben kann und sein Gesprochenes bewahren, um es zu reflektieren. Jedes komplexe Sprach-System innerhalb derer der Mensch operiert, stellt Beobachtungen darüber an, wo es seine Handlungsweisen hinführt  und im Rahmen dieser Beobachtungen kommt es zu Überzeugungen, die es festlegen, auf eine bestimmte Weise zu handeln. In diesem Sinne ist das System determiniert. Es kann nur aufgrund der Informationen handeln, die ihm zur Verfügung stehen. Diese Einschränkung ist aber immer eine sehr Allgemeine. Sie wird automatisch zu der Frage nach der Relevanz von Informationen führen und damit wird das Problem der Determination zu einer Frage der Effizienz. Ich brauche Vorstellungen der Zukunft um darüber entscheiden zu können, welche Informationen ich für mich als relevant erachte. In diesem Sinn sind bestimmte Entscheidungen vorausberechenbar. Wo Voraussagen eintreffen, ergibt sich der Verdacht, dass etwas im System „nicht stimmt“, dass es die Freiheit zu eigenen Entscheidungen aufgegeben hat. Die Suche nach Evidenz in Bezug auf menschliche Handlungsweise ist also eine „negative“. Nicht in dem Sinne, dass sie nach „falschen“ Handlungsweisen sucht, sondern dass sie das grundsätzliche Dilemma der Willensfreiheit durchleuchtet und der Tatsache, dass wir,  je mehr wir etwas wollen, darin korrumpierbar und verletzbar sind. Und je mehr wir in Kategorien und „charakterlichen Einteilungen“ denken, die Individualität verletzen und das Einmalige jedes Menschen nicht mehr sehen.

 

Menschen und ihre Formen des Zusammenlebens ändern sich und mit ihnen die Vorstellungen von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft, Geburt und Tod, Bindung und Trennung, Schmerz und Glück, Schwächen und Stärken. Diese konstruierten Antipoden sind fest verwurzelte Grund-Anschauungen der Strukturen von Kommunikations-Systeme, durch die wir unsere Existenz ausdrücken. Sie spiegeln den Wunsch nach einer Ordnung, die in der Welt nicht existiert und vom Menschen immer wieder neu erschaffen werden muss, um sich in der Veränderung (auch wenn sie in Wirklichkeit so nicht stattfindet) zu begreifen. Das Leben beginnt nicht mit der Geburt und es endet vielleicht auch nicht mit dem Tod. Schmerz und Glück sind Extrempunkte auf der Gefühlsskala, Bindung und Trennung ebenso extremen Anschauungen von Prozessen, die fließend ineinander übergehen und selten ein klares Ende und Anfang haben. Vergangenheit und Zukunft sind letztendlich Vorstellungen unseres Gehirns, dass sich im Nachhinein oder Vorhinein eine Wirklichkeit zu schaffen versucht, die so weder existiert hat noch so existieren wird. Wann immer diese Codes auftauchen weisen sie auf Konflikte hin, die entweder schreckliche Vergangenheit oder die bedrohende Zukunft im Gegensatz zur „Heilen Welt von gestern“ und der „Besseren Welt von Morgen“.  

 

Wahrnehmungen werden nach konstruktivistischer Sicht durch Sprachmuster vorgegeben.  Die Untersuchung sozialer Populationen (oder so genannter „Generationsaspekte“ der Astrologie) hat eine bestimmte sprachliche Ausdrucksweise, an die sich die Art der Fragestellung anschließt, so dass es notwendig ist, die Sprache selbst zu untersuchen. Der „Geist“ ist im Prinzip selber Gegenstand der Fragestellung, indem er durch eine Gruppe von Menschen wirksam wird. Der Aufbau der Sprache von Systemen lässt Rückschlüsse auf das Handeln von Gemeinschaften und Institutionen und deren Individuen zu. Die vielen überraschenden Evidenzen, denen Astrologen wie Soziologen begegnen, hängen vor allem damit zusammen, dass ihre Untersuchungen und Deutungen  im „einschlägigen Milieu“ der jeweiligen Szene entsteht (bei den Astrologen oft die Esoterikszene) und ähnliche Erfahrung zwangsläufig durch den Duktus der Schicht, in der die Untersuchung angesiedelt ist, selbst hervor gebracht wird. Wissenschaftliche Evidenz zu fordern führt in diesem Bereich der Deutungs-Arbeit zu dem Paradoxon, dass sie Menschen etwas zu erklären versucht, von dem sie schon längst überzeugt sind. So wie die Sozialarbeit Menschen in Normen klassifiziert, von denen sie eigentlich selbstständiges Handeln wünscht, verschreibt die Astrologie Menschen Spiritualität, die sich schon längst für spirituell halten. So wie der Sozialarbeiter in einem schwer auflösbaren Interessenkonflikt steht, „Individualität durch ein System zu verschreiben“, so muss der Astrologe sich mit der Tatsache anfreunden, dass seine Deutungen nur dem etwas sagen, der sowieso schon empfänglich für Botschaften dieser Art ist und damit „unabhängige Untersuchungen“ ein Ding der Unmöglichkeit sind. Wer eine astrologische Intervention zulässt, ist wahrscheinlich schon in hohem Maße durch entsprechende Erwartungen des „Zutreffens“ und einer Imitation der dazugehörigen Verhaltensrollen beeinflusst.

 

Astrologen sind sozusagen Spezialisten darin, das Chaos berechenbar zu machen, das sie selbst herbeireden. Der Trick liegt darin, in der Situation die Selbstreferenz zu erkennen und für eine Deutung im Sinne einer paradoxen Intervention umkehrbar zu machen. Indem ich behaupte, dass der Mars mich heute besonders gefährdet, erkenne ich (hoffentlich) den Selbstverstärkungseffekt derart negierender Behauptungen und kann meine Ängste relativieren, einfach indem sie ausgesprochen werden. Besonders in Grenzsituationen, Katastrophen, Krankheiten, plötzliche Änderung der Lebensumstände wird der Zusammenhang zwischen „Über-Rationalisierung“ und Notwendigkeit der Improvisation deutlich. Das Chaos wird durch die Reduktion der Handlungen und der Selektion auf bestimmte Sprachmuster beherrschbar gemacht und auf wenige Sachverhalte beschränkt. Der Spielraum verengt sich. Der Mensch, in bürokratische oder totalitäre erscheindende Systeme verwickelt, bricht sein Dasein auf das Notwendigste herab, er wird zum Extremist, zum Arbeitsroboter, zum Handlanger krimineller Machenschaften usw. weil ihm rational kein anderer Ausweg mehr bleibt. Das System mit seinen „medizinischen Diagnose“, eine „Anweisung des Finanzamtes“, die „medialen Verhaltensvorgaben“ kreieren eine Realität, die den Einzelnen in der Situation des Scheiterns beliebig aufzusaugen in der Lage sind und ihn als Ergebnis seiner scheinbaren Unmündigkeit wieder ausspucken. Heidegger nannte dies die Faktizität des Daseins in seinem Zulaufen auf den unausweichlichen Tod des Individuums innerhalb seiner Konstitution. Wir haben als Menschen keine Möglichkeit, der Totalität der von uns unter dem rationalen Duktus entworfenen Systeme, im stärksten Ausdruck in der Technik zu entgehen. Kein einzelner kann diese Entwicklung aufhalten, die totale Mechanisierung unserer Welt ist die Realität, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben und dies schon seit vielen tausend Jahren, seit Rationalisierungen und Arbeitsteilung das Überleben sichern sollten. Uns bleibt mit Heidegger nur die Reflexion auf das Geschehen und die Bewahrung einer spontanen, lebensfreudigen, weltzugewandten Stimmung.

 

Der „andere Mensch“, der in diesem Räderwerk „nicht funktioniert“ ist immer auch das Symbol unserer eigenen Unfähigkeit, das Schicksal der totalen Kontrolle über alles Leben aufzuhalten. „Ticks, Neurosen, Auffälligkeiten“ sind Ausdruck von Bedeutungsebenen aus der Sicht der gezwungenen Rationalität, sprachlich gesehen kontrafaktische Implikationen, Tautologien, Antinomien aus der Bedrohung „alles gleich zu machen“. Auffälligkeiten in der Sprache und im Habitus sind systemimmanente Notwendigkeiten, die jeder zu kaschieren versucht. „Kultur und Gesellschaft“ sind Konstrukte des Verbergens der Widersprüchlichkeit, wie Freud es formulierte, die „Kultivierung der wilden Instinkte“, habituell notwendig auftretende Anpassungen, die gegen die Natur des Lebens gerichtet sind, denn Anpassung bedeutet immer auch Förderung der Totalität des Systems und damit Feindlichkeit gegen das Leben (Todestrieb). Wir stehen immer gleichzeitig Innen und Außen und an der Entscheidung „für den Wahnsinn“ oder „gegen die Ordnung“ und Astrologie macht uns diesen Zusammenhang spielerisch deutlich.

 

An dieser Grenze zwischen Ordnung und Unterwerfung, zwischen System und Wahnsinn, entstehen die "Zufälle", die dann aber wieder ihre spezielle Bedeutung haben und in Form von Geheimnissen gepflegt auf persönlicher wie gesellschaftlicher Ebene werden, ja hier entsteht überhaupt das kulturelle Leben, die Besonderheiten, der „feine Unterschied“, die „Verschwörung“, das Lachen und Wundern darüber, dass es trotzdem irgendwie weiter geht. Das Deuten der darin liegenden Symbolik besonderer Ereignisse ist ein gesellschaftliches Spiel, das Kreieren von Metaphern, Mythen und Analogien zu den Geschehnissen des Schicksals findet an der Grenze zwischen den gewohnten Zuständen statt. Sie sind durch die Selbstreproduktion des Systems erzeugt, da die Reduktion auf die eigenen Funktionen immer eine Ausgrenzung bedingt, die einen selbst betreffen kann. Das System beobachtet die ausgegrenzte Differenz von System/Umwelt bei sich selbst, den eigenen fremd gewordenen Anteil und versucht durch den „Re-Entry“ das ungewohnte Verhalten als neue Norm zu verwirklichen. Damit ist Gesellschaft immer in Bewegung und gegenseitiger Kontrolle systemrelevanten Funktionen, seiner Subsysteme und Idealtypen unterworfen. Niemals kann eine einzelne Eigenschaft die anderen dauerhaft dominieren und damit kann auch ein Horoskop niemals statisch auf einen gegebenen Zustand (Gene oder Schicksal) reflektiert werden, sondern immer nur in Bezug auf die situative Fragestellung.

 

In diesem Zusammenhang kommt ein anderer Faktor der postmodernen Gesellschaft ins Spiel, der so alt ist wie das Spiel der institutionellen Begutachtung. Durch die Möglichkeit der permanenten Bewachung des „normalen“ Bürger gewinnen wir Daten von allen möglichen Schichten der Gesellschaft, die scheinbar große Evidenzen aufweisen. Das Problem ist: Beobachter und zu Beobachtende werden sich mit der Zeit ähnlich. Experimente mit Überwachungsanordnungen brachten zutage, dass sich das Verhalten von Menschen, die andere durch eine Kamera beobachteten zunehmend anglich, es wird zu ähnlicher Zeit die Toilette aufgesucht, bei ähnlichen Handelsmarken gekauft, usw.[5] und irgendwann auch dieselben Denkweisen annehmen. Die Daten von Verhaltensmerkmalen von Menschen stammen von Menschen, die zum selben System gehören und die, weil sie nicht sehen können, was sie nicht sehen, winzigste Ausschnitte aus der Wirklichkeit betrachten, die mit der Realität immer weniger zu tun hat. Abgesehen von den ethischen Problemen entsteht die Frage: Was messen wir eigentlich, wenn wir das Kauf, Straßenverkehrs- und Paarungsverhalten von „ganz normalen“ Menschen beobachten, wenn unsere Erwartungen an dieses Verhalten so stark kongruent sind, dass nur extreme Abweichungen einen sichtbaren Messausschlag geben? Was sehen Astrologen, wenn sie ein Horoskop betrachten anderes, als einen Ausschnitt ihres eigenen Beobachtungswillens? Wo ist die Überraschung, wenn wir bei anderen Menschen Dinge „entdecken“, die wir uns zuvor durch hundertfache Erfahrung zusammengebastelt haben?   

 

Die Flut von Daten bringt eine Masse von „Perversionen“, Abartigkeiten und Extremen an den Tag, die – in einzelnen Fall – unglaublich gegenüber der Masse des Normverhaltens erscheinen. Zieht man aber in Betracht, das jeder Mensch zu irgendeinem extremen Verhalten neigt, das er so gut wie möglich zu kaschieren weiß, dann erscheint die Einzelbetrachtung von Normabweichungen außerhalb einer rein juristischen Fragestellung sinnlos. Es ist das uralte Fensterguckersyndrom, darüber Bescheid zu wissen glauben, was tatsächlich von wenig Relevanz ist. Normen und Werte werden täglich über den Diskurs in den dafür geeigneten Medien konstruiert, ohne dass sie in der Lage sind, die wirklichen Veränderungen zu erfassen. Denn Normen und Werte sind immer Teil eines Überzeugungs-Systems. Indem sie nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit betrachten, in dem kritische Positionen systembedingt unmöglich sind, ist der Informationsgehalt außerhalb des Systems gering. Wann immer nach rationaler Entscheidungswahl innerhalb logischer Denkmuster gearbeitet wird, muss die Frage nach der selbst erfüllten Prophezeiung gestellt werden, die die Manifestations-Anforderung subtil unterlaufen. Evidentes Erleben hat etwas mit den Erwartungen zu tun, die wir gegenseitig in selbst erfüllender Weise an uns stellen, um die gemeinsame Sinnebene des Gesprochenen bildlich zu machen. Diese Bilder, Metaphern, Analogien auch der Astrologie drücken die sich in bestimmten Milieus und Bevölkerungsschichten bezüglich der „Voraussage des Schicksals“ aus und gehen einher  mit der Ausrichtung an den Milieutypischen  „Abweichung“, „Differenzen“, „Merkwürdigkeiten“, „Auffälligkeiten“ des Systems und seiner Teilnehmer, die für andere nicht als solche erscheinen müssen. Das „Andere“ ist im Prinzip ein durch das Milieu selbst kreiertes Eigenes und wird durch astrologische Sätze umgedeutet, aufgebrochen und verwertbar für einen Perspektivwechsel gemacht. Niemals wird eine Eigenschaft „festgestellt“.

 

In Rahmen sozialwissenschaftlicher Untersuchungen können subjektive Einschätzungen von Wert sein, wenn sie die Aussagen des Milieus bezüglich bestimmter Zukunftserwartungen trennen kann von der persönlichen Gestaltung des Erlebens und dem jeweiligen historischen Hintergrund in Kontrast zum Idealbild. Der Mensch als soziales Wesen definiert sich durch seine „Sozialisierung“, aber er ist nicht von ihr definiert. Als Teil des „Interpretationsapparates beschreibt er sein eigenes Schicksal, zeichnet er seine Biographie in dem Sinne des von ihm angestrebten Menschenbildes und nimmt dadurch Einfluss auf die Art der Beschreibung. Erwartungen an die Zukunft sind insofern immer auch mit zwangsläufig subjektiven und individuellen Erinnerungen an die Vergangenheit verknüpft, die sich in den Entscheidungsmomenten kristallisieren. […Betreffbar durch Geschichte bin ich nur, wenn in meinem Verhalten zu ihr ich selbst ganz und gar auf dem Spiel stehe und wenn mir in dieser Begegnung mit der Geschichte zugleich mein eigenes Leben ermöglicht werden soll. Es muss mein Sein können, meine Zukunft selbst eröffnet werden, ich muss durch die Eröffnung meiner Zukunft von der Last der Vergangenheit, die meine Zukunft immer schon verstellt, zu meiner Freiheit befreit zu werden. Das erfordert die Sammlung meines zerfließenden Lebens in die Gegenwart der befreienden Begegnung mit Geschichte. Der Horizont dieser Begegnung ist die eigentliche Zeitlichkeit, die sich im Augenblick der Entscheidung zeitigt. Im Augenblick der Entscheidung wird über mein bisheriges Leben und über meine Zukunft entschieden….][6]

 

Als Beispiel für soziale Feldstudien sei eine aktuelle Untersuchungen (2011) von Stefan Selke genannt,[7] der die Auswirkung der Arbeit der „Tafeln“, der neuen Armenspeisung in Deutschland untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Tafeln negative Auswirkung auf das Selbstbild der „Gefütterten“ haben, dass eine Identifikation und Verfestigung der Armut stattfindet und eine neue Hierarchie zwischen (meist ungelernten) Helfern und den „neuen Armen“ entsteht. Seine Untersuchungen sind unter großen Schwierigkeiten entstanden, da er weder die Finanzmittel hatte, noch die offizielle Erlaubnis seiner Hochschule. Zudem hatten die Tafeln natürlicherweise kein Interesse daran, am Zustandekommen der Untersuchung mitzuarbeiten. Seine Hauptarbeit lag darin, Interviews mit den Betroffenen zu führen, in denen überraschende Erkenntnisse über Hierarchiebildung, schlechte Ausbildung der Helfer und wahllosen Sanktionen, die von den Veranstaltern bei Nachfragen geleugnet oder relativiert wurden. Allein das Ansprechen der Verhältnisse bewirkte ein öffentliches Bewusstsein und eine Selbstreflexion der Träger.

 

Daten können unterschiedlich ausgewertet und können missbräuchlich verwendet werden, wie etwa Thilo Sarrazins unangenehmer Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ zeigt, der statistische Daten über Integration und Bildung auf eine Weise ausdeutet, die nicht im Rahmen des Formats der Erhebungen bleibt. Man stelle sich vor, dass Astrologie in einem großen, gesellschaftlichen Rahmen Akzeptanz findet und du morgens dein Horoskop in der Bildzeitung findest, gedeutete von deinem Erzfeind. Wenn es um Objektivität geht, dann immer in Bezug auf den Rahmen ethischen Anstands und Bewahrung menschlicher Würde und niemals um „Wahrheit“ der Zahlen und Auszählungen im Horoskop. Der Astrologe muss sich bewusst sein, dass seine Interpretationen missbraucht werden können und Verantwortung dafür tragen, wenn dies geschieht. Er ist kein „neutraler“ Beobachter, sondern immer auch ein Teilnehmer am Kommunikationsfeld „Ethik“, in dem seine Rolle umso schwerer wiegt, als seine Aussagen auf öffentliche Resonanz stoßen.

 

Diese Beispiele soll kurz andeuten, wie Sozialwissenschaftler ihre eigenen Methoden zu kontrollieren versuchen und die Auswirkungen der gewählten Ansätze auf den Ausgang der Untersuchung beschreiben und vergleichen, wie Meinungsbildung in den Sozialwissenschaften entsteht, um welche Probleme es geht und warum es weniger um die Feststellung von „Eigenschaften und Charakterzügen“ der beteiligten Personen geht, als um grundsätzliche Mechanismen in der Gesellschaft, die aber immer aus persönlichen Erwartungen an eine gemeinsame Zukunft entstehen. Der „biographische Mensch“, den die Astrologie untersucht, ist die andere Seite derselben Medaille ist; die Veränderung der sozialen Verhältnisse ist immer ein Spiegel der persönlichen Befindlichkeit, der Meinungsbildung und der Orientierung im sozialen Feld. Biographien sind Zeiterzählungen, die historische Ereignisse dokumentieren und im persönlichen Erleben auf die jeweiligen Mitmenschen und ihre Wahrnehmung von der Gesellschaft verweisen. Die Beratung eines einzelnen Menschen verändert das Umfeld, das Feld des Beraters, der Institution für die er tätig ist (oder die entsprechende schulisch- therapeutische Richtung), sowie das Beziehungsgeflecht zwischen allen Beteiligten in der Suche nach konsensfähigen Ergebnissen und gemeinsame vertretbaren Regeln und Konventionen der Sprache und des Verhaltens.

 

Der Astrologie ist es wichtig, die unweigerlich mitschwingenden „Botschaften“ jeder „nüchtern gemeinter“ Aussage nach dem Motto Watzlawiks: “Man kann nicht nichts sagen“ im Auge zu behalten und sich nicht zum Anwalt der einen oder anderen Seite zu machen. Ihr Anspruch ist es, den Klienten zum „Experten seiner Selbst“ zu machen und damit ist sie in Übereinstimmung mit systemischer sozialtherapeutischen Methoden. Astrologie ist wohl die einzige Beratungsmethode, bei der der Berater mehr redet als der Klient. Sie will das Schweigen der Double Binds, die „ungehörten Botschaften“ durchbrechen, indem sie das Unsagbare sagbar, das Unsichtbare sichtbar macht. Der Klient fühlt sich aufgehoben, wenn seine Lebenssituation in exakter Beschreibung erscheint. Aus der großen Aussagemenge entsteht gleichzeitig eine Beliebigkeit, die kontrolliert werden muss, wenn man nicht in die Gefahr geraten will, den esoterischen Mainstream unreflektiert wiederzugeben. Dazu bräuchte man keine Astrologie.

 

 

Während auf der Ebene des Umweltschutzes diskutiert wird und damit nach der Frage vorgeblich richtigen und falschen Handelns, geht es in Wirklichkeit um die Frage, wer im Haus das sagen hat. Sollte sich die obere Partei durchsetzen, wird die untere wohl demnächst auf Kosten der Gesamteigentümer eine energiesparende Heizung einbauen lassen, ohne die anderen zu fragen (wobei die untere Partei dort vorteilshaft eine preiswerte Anlage für sich erwerben kann). In die Frage nach Umweltschutz  der Leitdifferenz Umweltschutz/Umweltschädigung mischen sich  persönliche Vorteile, Antipathien und Sympathien. Über die Bestellung eines Gutachtens beschäftigt sich die obere Partei nun zwar mit dem Thema Umweltschutz, doch wird sie aus dieser Angelegenheit wohl kaum ein positives Bild an der Sache gewinnen. Schon gar nicht, wenn die untere Partei ihre energiesparende Heizung auf unkorrekte Weise durchgesetzt hat.  

 

Systeme haben ihren blinden Fleck meist auf ihren eigenen Leitbildern. Da geschlossene Systeme grundsätzlich in Paradoxone verwickelt sind benötigen sie äußere Informationen, um sich über ihre Widersprüchlichkeit (gegenüber den Konventionen der Umwelt) bewusst zu werden. Diese Informationen sind umso leichter annehmbar, als dass sie neutralen Charakters sind, bzw. in einer wohlwollenden halteung vermittelt werden. Dauerhafte Konflikte machen die Vermittlung schwerer und versätrken den blinden Fleck bezüglich der eigenen Einseitigkeit. So entstehen Vorurteile und Situationen, in denen die handlungsfreiheit der Systeme und ihrer einzelnen Teilnehmer eingeschränkt sind. Da alle Systeme und ihre jeweiligen Leitdifferenzen gleichberechtigt sind, ist das Ergebnis auch grundsätzlich offen. Eine Ausnahme bildet allein die religiöse Matrix, die per Definition zur „Ursprache“ menschlichen Handelns gewählt wurde.

 

Zur Schlichtung eines Konflikts ist es daher unerlässlich, religiöse und pseudoreligiöse Hintergrundmotive aufzudecken und sich ihrer Konstruktion bewusst zu werden und Leitdifferenzen zu dekonstruieren, die Fehl am Platz sind. Im Fall des Baumes geht es scheinbar um die ethische Tatsache, dass die unnötige Fällung eines Baumes eine „böse“ Handlung ist. Religiöses Motiv ist die Erhaltung der Natur und das friedliche Zusammenleben aller Lebewesen. Diese Haltung ist eine Antwort auf die vermeintlich „unmoralische“ Verhaltensweisen der Generationen des Industriezeitalters, die für das Wachstum der Wirtschaft einen Raubbau an der Nautr in Kauf genommen haben. Mit der Kritik an dieser Haltung ist natrülich auch eine Kritik an der ethischen Haltung und an der „Art des Glaubens“ verbunden. Es ist daher verständlcih, dass sich das obere Ehepaar auch in seiner religiösen Haltung verletzt sieht, obwohl diese Fragen niemals explitzit genannt worden sind. Vereinfachende binäre Codes sind immer auf eine Zweckentfremdung der religiösen mateix und eine Uneigenständigkeit des Systems zurückzuführen.

 

Für beide Paare geht es darum, den Konflikt auf eine praktisch relevante Ebene zu ziehen, falls sie nicht  

Risiko laufen wollen, eine permanente unterschweililg ethscih gefärbte Diskussion in kauf zu nehmen. Deshalb fordern sie ein Gutachten ein. Dass es im Hintergrund gar nicht um den baum gegangen ist, sondern um etwas anderes, zeigt sich, als die beiden gutachten sich widersprechen und die Situation weiterhin unbefrieiegend bleibt. Sie hat sich nur insofern geändert, als die beiden Paare intern und extern auf einem anderen Informationsstand sind. Das untere Paar weiß jetztFür die Astrologie ist es nicht leicht, ihren eigenen Wurzeln auf der Spur zu bleiben, nur wenige Schriften sind aus dem lateinischen, arabischen oder griechischen Ursprung, in dem damals korrespondiert wurde, übersetzt oder interpretiert. Wir fangen quasi wieder von vorne an, eine Sprache zu schaffen, die uns die alten Texte auf moderne, wissenschaftliche Weise verstehen lassen. Diese Entwicklung steht an ihrem Anfang und beinhaltet ein unerschöpfliches Reservoir an Weisheit verschiedener Kulturen und Epochen, in denen Astrologie betrieben wurde. Da heute jeder, der einen Computer besitzt, Astrologie betreiben kann, ist eine Ausgangssituation geschaffen, in der die  Grundkonstellationen der Astrologie leicht in alltagstaugliche Begegnungsräume und Bedeutungszuordnungen bringen lassen. Indem sie historische Mechanismen aufzeigt, die uns glauben lassen, einem bestimmten Schicksal unterworfen zu sein, verführt uns Astrologie zur Bildung  vereinfachender Kausalketten und zur leichtsinnigen Bildung von Mythen, wo rationale Argumente angebracht wären.

 

Aber sie gibt uns gleichzeitig auch die Möglichkeit der Vergleichbarkeit „irrationaler Weltbilder“, die heute genauso wie früher im Alltag durch Szientismus und Psychologismus verankert sind und Leichtgläubigkeit und Manipulation hinter dem wissenschaftlichen Weltbild offenbaren. Die kritische Theorie von Adorno und Habermas macht gar die Aufklärung selbst für die ideologischen Entgleisungen des 20. Jahrhunderts verantwortlich, Vernunft wird nach der „kritischen Theorie“ zu einer Herrschaft der Technokratie, wenn sie dogmatisch betrieben wird.[8] Neben der reinen Vernunft braucht es auch Menschlichkeit, Verständnis und Toleranz. Dieser Zusammenhang ist für Astrologie wichtig, weil die die Deutung manchmal wie ein „kalte Verurteilung“ durch die Sterne wirken kann, manchmal aber auch durch eine ungerechtfertigte Begeisterung für die „Determination“ zu reiner Spekulation wird. Ein Mittelweg aus dem menschlichen Bedürfnis nach Mythen und Wundern und praktischer Vernunft ist sinnvoll.

 

Sozialarbeit und Astrologie erfordern wie alle Berufe mit helfendem Anspruch einen besonders sorgfältigen Umgang mit Sprache. In der Beratung wird häufig zu leicht der Eindruck erzeugt, der Astrologe würde „wissen“, was mit dem Klienten ist. Ein guter Berater wird diesem Eindruck sofort entgegenwirken und sich hinterfragen, wie dieser Eindruck entstehen konnte. Es ist nicht hilfreich, wenn der systemische Sozialarbeiter und Astrologe sich als „psychologisch geschulter“ oder „spirituell gefestigter“ ausgibt als der Klient. Selbst wenn er in diesen Bereichen große Erfahrungen aufzuweisen hat gibt es keine „Messlatte“ für Spiritualität oder psychologische Kenntnis. So gibt es auch keine „spirituelle“ oder „psychologische“ Soziologie oder „esoterische„ Astrologie. Dies sind Konstrukte zur Abgrenzung ideologischer Zwecke.[9] Astrologie ist immer esoterisch, psychologisch und spirituell, sonst wäre sie keine Astrologie. Genauso ist sie aber auch vernünftig, empirisch und zweckdienlich.

 

Es gibt auch nicht DIE Astrologie, sondern nur die verschiedensten Techniken und ihre Anwendungen. Ich habe Astrologen kennengelernt, die allein aus den sabischen Symbolen ein Horoskop deuteten und zu befriedigenden Aussagen kamen. Das Gebiet der Astrologie ist über die Jahrtausende so weit verzweigt, dass eine Gesamtdarstellung unmöglich ist, vor allem, was die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Kulturkreise angeht. Eine Vereinheitlichung zu Zwecken rein rationaler, statistischer Wissenschaftlichkeit würde zwangsläufig eine Beschneidung der Vielfalt bedeuten. In dem Dilemma einer strengen Forderung nach wissenschaftlicher Ableitung und  Spielraum für persönliche Experimente ist auch ein Mittelweg denkbar, der Anleihen und Definition des wissenschaftlichen Weltbildes aufnimmt, gleichzeitig aber genug Spielraum für andere Denkweisen lässt.[10]

 

Die gegenseitige „Entscheidungshilfe“ ist ein „offenes Glasperlenspiel“, in dem Positionen und Rollen wechseln können und das macht Astrologie schwierig. Indem sie sich diszipliniert, in ernsthaften und sensiblen Angelegenheiten zu arbeiten und ihre Beobachtungen so exakt und präzise zu formulieren, wie nur irgend möglich, kann sie dieses Dilemma ausgleichen. Insofern ist auch der tautologische Begriff „seriöse Astrologie“ überflüssig, da auch der Beschäftigung mit „Lottoglück“ und „Liebespech“ interessante Hintergründe abgewonnen werden können, wenn sie in einer ernsthaften, empathischen Umgebung behandelt werden.  Im „kindlichen Spiel“ der Sternendeutung, dass in Wirklichkeit den tiefen Ernst manch kindlichen Spiels abbildet, sind Haltungen austestbar, ohne dass die dahinter stehenden Implikationen gleich verbindlichen Charakter haben müssen. Durch die Festlegung „Ich bin ein Löwe und bleibe dies bis an das Ende meines Lebens“ entsteht eine „Kontinuität der Experimentierens“, die in ihrer weiteren Folge selbstbezügliche, systemimmanente Symbole schafft, auf die weitere Operationen und Anschlusshandlungen erfolgen. An Astrologie kann man genauso wenig glauben, bzw. sie „beweisen“ wie die Systemtheorie. Man kann sie nur praktizieren, bzw. in seine Denk- und Handlungsmuster einbeziehen. Ihre Voraussetzungen bestehen aus dem Verstehen der aktuellen Gesellschaftssysteme in ihrem historischen Kontext und daraus resultierend im Verständnis für die individuelle Problematik des Menschen.

 

Während es in den Naturwissenschaften größtenteils um ein determiniertes Weltbild geht, in dem Ereignisse in kausalem und messbaren Zusammenhang stehen, geht es in den Sozial- und Geisteswissenschaften immer auch um die Methode selbst und ihren historischen Bezug. Ein Bild wird in einer bestimmten Epoche und in einem bestimmten Stil gemalt. Ein Theaterstück hat einen kulturellen Hintergrund, seine Auswirkungen werden durch die Menschen, die das Stück bewerten bestimmt. Ein kontinuierliches Geschichtsbild entsteht durch die Einordnung von Kunst, Sprache, Musik und anderen kulturellen Gegebenheiten unter Gesichtspunkten, die von den Schreibern der Geschichte festgelegt werden. Soziale Kausalität läuft immer in die Rekursivität der Absicht, mit der die Gründe für ein Geschehen gesehen werden. Jede Untersuchung sozialer Umstände und menschlicher Bezüge birgt politischen Sprengstoff, die Gründe werden selbst zu Ursachen weiterer Betrachtungen, die nicht selten gegenteilige Ergebnisse bringen. Die Bewertung von menschlichem Verhalten bedingt vor allem eine Überprüfung der eigenen Urteils- und Vorgehensweise, die Untersuchungen müssen immer den Zweck und den Ursprung der Frage im Auge behalten, um nicht zu einer Selbstbegründung für lebensfremde Theorien zu werden.  

 

Geisteswissenschaftliche Fächer wie Kunst, Geschichte, Literatur usw., wo es um die Produkte des Menschen, seine Kunstwerke und  Historie geht, sind gleichermaßen am wissenschaftlich zu bemessenden Objekt, als auch am produzierenden Subjekt orientiert. Geschichte ist immer eine erzählte Geschichte, eine subjektive Variante der sie bestimmenden Kultur. In der Kunst wird z.B. die Epoche, der Malstil oder der historische Hintergrund eines Gemäldes untersucht und davon ausgehend weiter bestimmt, welche Autoren und Künstler damit in Bezug gesetzt werden können.  Der Künstler selber hat aber keine „Epoche“, keinen „Stil“, und keine festlegbare „Historie“, die er nicht selbst definiert hätte und durch die er seine Interpretierbarkeit selbst vorgibt. Seine persönliche Eigenheit und individuelle Ausformung wird nur vor dem Hintergrund der ausgewählten Stilrichtung verständlich und damit ist sein Werk auch immer vor dem Hintergrund von machtbestimmten Diskursen zu sehen, die um die Interpretationshoheit ringen. Dieses Bild kann man auf die Astrologie übertragen. Ein Horoskop lässt sich nur vor dem sozialen Hintergrund des Geborenen interpretieren. Der Mensch ist kein weißes Blatt, auf dem die Evolution ihre Siglen schreibt, sondern aus dem historischen und persönlichen Kontext seiner Biographie zu verstehen. Anonsten hätten alle Geborenen mit demselben Horoskop auch das gleiche Leben (Astrozwillinge). Das Horoskop erhält seine Lebendigkeit durch die Wandelbarkeit der Symbole, es geht in der Deutung um die Verschiedenheit der Auswirkung der Konstellationen im individuellen Kontext. Insofern ist die astrologische Deutung eine „Kunst“, mit Sprache und Bedeutung von Symbolik ästhetisch ansprechend und gewissenhaft umzugehen. Dahinter ist sie auch eine Sozialwissenschaft im Sinne der Verschreibung von gesellschaftlichen Zuständen, aus denen die persönliche Biographie erst verständlich wird.

 

Jeder zwischenmenschliche Austausch muss grundsätzlich ergebnisoffen sein, wenn er nicht in die Gefahr totalitärer Weltbilder geraten will. Eine Forderung der Astrologie nach „Berechenbarkeit“ des Menschen wäre nicht nur im Sinne der künstlerisch-ästhetischen Freiheit nutzlos, sondern auch im sozialwissenschaftlichen Sinn. Es geht gerade darum, viele unabhängige Quellen und Interpretationsmethoden zu haben, um dem Kontext des einzelnen Menschen gerecht zu werden. Damit sinkt der Anspruch an den „Wahrheitsgehalt“ einer einzelnen astrologischen Aussage nicht, er verschiebt den Fokus nur auf die konkret zu bemessende Situation. Spekulationen in die Zukunft sind Versuche, dass Unsagbare sichtbar zu machen, das Unaussprechliche verhandelbar in der Beobachtung des konkreten Ereignisses und seine Bedeutung für den Horoskopeigner, bzw. die Einkreisung des entscheidenden Aspekts aus der Vielzahl der Bedeutungsmöglichkeiten. Darüber hinaus lassen sich allgemeine Situationen auch auf vergleichbare Weise beschreiben, wie etwa die Theorien der Spieltheorie innerhalb der Wirtschaftswissenschaften. Menschliche Handlungen sind innerhalb künstlich nachgestellter Situationen einigermaßen sicher vorhersehbar, weil sie ein gemeinsames Interesse an einer Strategie haben, z.B. Win/Win Situationen zu schaffen. Doch sind das immer nur Ausschnitte, die in der Wirklichkeit ganz anders passieren können. Astrologisch gesagt: Ein marsbetonter Mensch wird in einer kriegerischen Auseinandersetzung sicherlich anders handeln, als ein jupiterbetonter in einem Forum für Friedensarbeit und doch können beide immer auch in die Situation des Anderen geraten und die gleichen Konstellationen verschieden anwenden. Ohne den Kontext ist die astrologische Aussage sinnlos.  

 


[1] John Dewey, Demokratie und Erziehung, Beltz 2000, S. 25

[2] de.wikibooks.org/wiki/Soziologische_Klassiker/_Goffman,_Erving

[3] Interessant das Heidegger, wie der eigenwillige Foucault, Bergson und  Nietzsche im Zeichen der Harmonie, der Waage geboren sind, alles vier Philosophen, die in akribischer Weise zu einem beständigen Wesenskern menschlichen Denkens angesichts totalitärer Denkstrukturen vordringen wollten und dabei die eigene Angst des Versagens selbt thematisiert haben. Nietzsche kam in die Psychiatrie, Heidegger in die Mühlen des Nationalzozialismus, Bergsons Schriften wurden auf den Index des Vatikans gesetzt und Foucault riskierte seine Freiheit im Einsatz gegen unmenschliche Haftbedingungen und Verdammung von Homosexualität.

[4] Henri Bergson, Materie und Gedächtnis, S. 55

[5] Stichwort Spiegelneurone, Universität Mailand, morphogenetisches Feld

[6] Helmut, Peukert, Wissenschaftstheorie, 1978, S. 40 in Anlehnung an Kierkegaard, Hasenhüttl und Heidegger.

[7] www.wiki.stefan-selke.de/mediawiki-1.14.0/index.php

[8] Habermas und Adorno identifizieren die „Täter“ des Holocausts als  überrationale, kleinbürgerliche Typen, die ihrer Welt das Zwangskorsett überstülpen mochten, in dem sie selbst aufgewachsen waren, eine Sicht, die schon Fromm und Reich in den 20er Jahren angedeutet hatten. 

[9] Es gibt in der Mathematik z.B. Algebra, Geomtrie und Vektrorechnung aber niemand würde behaupten, dass „seine“ Mathematik die Bessere wäre und „die“ Mathematik als Einzige richtig repräsentiere würde.

[10] Siehe die „integralen Methoden“ von Aurobindo, Assagioli, Gebser, Wilber, Laszlo u.a., ein interessantes Feld mit Verbindung zur modernen Anthorposophie dass durch Volker Schendel, Landscheidt, Seymour u.a. in Verbindung zur Astrologie gebracht wurde. www.vonabisw.de/15.html