Jedem Wert entspricht ein Bedürfnis

Quer durch alle Kulturen gibt es eine Sprachmatrix, die seit Jahrtausenden von astrologischen Symbolen beeinflusst wird. Sie bilden 60 Werteverierecke, eine Bezeichung, die von Hellwig stammt und von von Thun weiterausgearbeitet wurde. Angelegt ist sie schon in der Nkomachischen Ethik von Plato. Emotionale Begrifflichkeit wirkt in einer doppelt polaren Logik, jeder Begriff entsteht nicht nur mit seiner Antipode, sondern auch mit einem zweiten komplementären Paar, dass die Möglichkeit der Synthese einschließt.

Die Bedeutung eines Planeten steht nie allein für sich, sondern ist immer im Zusammenhang mit einem anderen Planeten gegeben.

 

In diesem Spannungsfeld entsteht die individuelle Variation der Eigenschaften. Die Begriffe können sowohl als Werte (zumeist positiv), als auch als emotionale Bedürfnisse (zumeist negativ)  verstanden werden. Daraus resultiert auch der Gegensatz von Kultur (Schaffung von positiven Werten) und Natur (Ausgeliefertsein an die Instinkte).

 

Der Mechanismus der Dichotomien ist Teil eines dialektischen Prozesses, der seit mindestens zwei Jahrtausenden schematisch beschrieben wird. Er drängt sich durch die Konstruktion unserer Sprache geradezu auf, da alle Wertungen in ein bipolares Schema passen, das schon von Aristoteles  in seiner Nikomachischen Ethik erwähnt und von Paul Hellwig Mitte des 20. Jahrhunderts als „Wertevierecke“ aufgeführt wurde. Die Prämisse des Werte- und Entwicklungsquadrats lautet: […Jeder Wert, jede Tugend, jedes Leitprinzip, jede menschliche Qualität, könne nur dann seine volle konstruktive Wirkung entfalten, wenn er sich in ausgehaltener Spannung zu einem positiven Gegenwert, einer “Schwestertugend” befindet…]

 

Hellwig scheint es nicht darauf abgesehen zu haben, sein an Aristoteles angelehntes Schema auszuweiten. Dasselbe gilt für Friedemann Schulz von Thun, der in seinem Buch „Miteinander Reden“, Band II, die Wertevierecke innerhalb einer Einteilung von acht Rollen durchspielt. Das Buch ist ein Klassiker der Kommunikationspsychologie und erschien in einer Zeit, in der die studentische Mitbestimmung, Gleichberechtigung und Kommunikationsworkshops im Bereich Wirtschaft und Soziales boomten. Entsprechend beschreibt von Thun die Wertevierecke innerhalb seiner marketingorientierten Typologisierungen und entwirft einen ersten Prototyp einer „Grammatik der Emotionen“. 

 

Von Thun betont an mehreren Stellen seines Buches, dass die Typen nicht als Charaktere verstanden werden sollen, sondern als Funktionen und Kommunikationsstrategien. Die oberen Begriffe bedeuten Kreativspannung die unteren Kompensationsmechanismen, die von der Rolle auszufüllen sind. Die Astrologie kennt ein ähnliches Dilemma. Die von ihr zugeschriebenen Eigenschaften sollen keine Festlegung von Persönlichkeitsmerkmalen sein, sondern Möglichkeiten des Handelns darstellen. Jede Zuschreibung eines „Wesensmerkmals“ bezieht die eigenen Wertmaßstäbe ein. Sie kann grundsätzlich nicht neutral sein. Damit stellt sich die Frage, wie sinnvoll solche Typologien sind. Vordergründig scheint die Astrologie Charaktere zu beschreiben (Widder sind impulsiv und durchsetzungsstark), hintergründig stellt sie die so gewonnen Erkenntnisse in Frage, denn das Schema des Horoskops ist dichotom aufgebaut, so dass es den Widerspruch in sich enthält und zu jeder These die Antithese mitliefert (der Widder muss an seiner Impulsivität und Durchsetzungsstärke arbeiten und zum Ausgleich finden).

 

Die Wertungen haben eine lange Tradition der Umformung und verschiedene Anwendungen. Urtugenden wie Tapferkeit und Ehrgeiz spielen heute weniger eine Rolle als vor 100 Jahren noch. Ganz out sind momentan „religiöse“ Tugenden der Enthaltsamkeit und Innenschau. Heute sind es eher die sozialen Werte, wie Toleranz, Emanzipation, Mitbestimmung und alle Formen der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, die erwünscht sind und gefördert werden. Tugenden der Heimatliebe/Fleiß/Disziplin treten in den Hintergrund und werden vom Linksintellektuellen Spektrum als „Sekundärtugenden“ bezeichnet. Es ist offensichtlich, dass sich Tugenden nicht an Ideologien halten und Fleiß sowohl bei konservativen, als auch progressiven Gruppen seine Rolle hat. Dabei können die Tugenden auch innerhalb derselben Zeit und derselben „Benutzergruppe“ unterschiedliche Bewertungen erfahren. So ordnen sich immer neue „Clouds“ von bevorzugten Tugenden in jeder Kulturströmung.

 

Die 60 Wertevierecke sind nicht weiter aufzulösende Gegensatzpaare, Begriffskombinationen, die in allen Sprachen der Welt in ähnlichem Kontext verstanden werden, so die These. Sie enthalten jeweils zwei Begriffspaare, die sich auf doppelte Weise widersprechen, einmal über den diametralen Gegensatz in negativierender Form über Kreuz und einmal über die komplementäre Form der gleichen Ebene.

 


[1] In der Analogie des Übergangs vom derzeitigen Wassermannzeitalter zum Steinbock.

[2] Andreas Bleeck „Soziale Archetypen – Planetenmatrix entschlüsselt“, Synergia, 2. Aufl. 2017

[3] S. Warwitz, Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Erklärungsmodelle für grenzüberschreitendes Verhalten. Baltmannsweiler 2001