Fünf Persönlichkeitsmerkmale

Die beiden Grundwerte, die die Sozialpsychologie in den letzten 50 Jahren selektiert hat (seit Bakan 1966), bilden das Zusammenspiel aus Suche nach Einfluss (engl. Agency) und Gemeinschaftlichkeit (engl. Communion).[1] In den ‚Big Two‘ werden zwei Grundtypen unterschieden: Der Individualist, dem ein gesundes egoistisches Verhalten zugewiesen wird und der Kollektivist, dem das achtsame Miteinander wichtiger ist. Diese Form der Unterscheidung finden wir aber auch in der Verhaltensforschung, wo es um die Unterscheidung von sozialem, empathisch zugewandten Verhalten geht und Alphatiergehabe. Oder in der Persönlichkeitspsychologie wo es um ‚soft skills‘ und ‚hard Skills‘ geht.[2] Daran anlehnend entwickelte Klages ein zweidimensionales Modell  mit Pflicht- und Akzeptanzwerte auf der einen Seite und Selbstentfaltungswerte auf der anderen. Beide bedingen einander in einer dynamischen Weise. Ein Rückgang der Pflicht- und Akzeptanzwerte führt zu einem Anstieg der Selbstentfaltungswerte und umgekehrt. Alle diese Unterscheidungen variieren geringfügig voneinander, gehen aber in eine eindeutige Richtung. Menschen, die mehr auf selbstständig errungenen Erfolg aus sind (Agency), schwimmen eher gegen den Strom, Menschen, denen es um Gemeinschaft geht, passen sich eher an (Communion).

 

Die ‚sozialen Skills‘ bilden die Grundunterscheidung vieler sozialpsychologischer Fragestellungen.[3] […Die Agency Dimension beinhaltet unmittelbar selbstdienliche Eigenschaften wie Dominanz, Kompetenz und Tatkräftigkeit. Die Communion Dimension beinhaltet unmittelbar fremddienliche Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Vertrauenswürdigkeit und zwischenmenschliche Wärme…][4]. Wann immer nach Persönlichkeitsmerkmalen von Menschen geforscht wird, um deren Verhalten vorauszusehen, dann stoßen wir auf dieses Paar und die Feststellung, dass agentisch veranlagte Menschen eher gegen den Strom schwimmen und kommunale Menschen soziokulturell zur Anpassung neigen. Diese Eigenschaften finden wir allerdings nur selten in Reinform, sie vermischen sich in jedem Typus und können auch durch die Begriffe Liebe und Macht umschrieben werden.

 

 

 

Liebe

Communion<ins></ins>

Macht

Agency<ins></ins>

Ohnmacht

Impotence<ins></ins>

Schmerz

Pain<ins></ins>

 

 

 

 

Diese und ihrer Gegenteile bilden gewissermaßen eine Art ‚Urcode‘, der über alle Sprachen hinweg zu funktionieren scheint und sich auch schon im Tao von Ying und Yang der chinesischen Philosophie finden. Durch das Bilden einer bimodalen Verteilung ist eine Präferenzbildung zwischen extremen Ausschlägen möglich und damit eine Skalierung von qualitativen Zuständen. Hohe Ausschläge des einen führen nicht automatisch zu niedrigeren Werten des anderen. Es ist eine Art Beobachtung 2. Ordnung nötig, um die gefundenen Werte zu interpretieren. Denn es kommen grundsätzlich immer mindestens zwei Möglichkeiten in Betracht, warum es zu hohen oder niedrigen Werte der Comunion oder Agency kommt, bzw. warum Gefühle des Schmerzes oder der Ohnmacht empfunden werden. Jedes System folgt derartigen Codierungen, um seine Operationen ‚eichbar’ zu machen. Damit muss es allerdings einen blinden Fleck in Kauf nehmen. Denn es kann nicht sehen, was es ausschließt. Liebe macht blind für Angst und Macht macht blind für Ohnmacht.

 

Ein Mensch mit hohen agentischen Werten kann über die Liebe seine eigene Ohnmacht ‚fühlen lernen‘. Wertmodelle und die ihnen entsprechenden Persönlichkeitstypen sind Möglichkeiten dahingehende Angebote auf diplomatische Weise in die Sprache und Mimik einfließen zu lassen und dem anderen Alternativen ins Bewusstsein zu rufen, bevor er sich zu sehr in ein Extrem begibt. Michel Foucault hat diesen Zusammenhang ausführlich beschrieben und nachgewiesen, dass Machtrituale eine Form von Beziehungsspielen sind und strategischen Zweck haben. Manchmal verfestigen sie sich aber auch zu unauflösbaren Herrschaftsstrukturen. Dann enden die gewöhnlichen Mittel der Sprache. Mit einem Alleinherrscher kann man nicht mehr ‚doppeldeutige Signale austauschen‘.[5]



[1] Sie könnten auch mit dem Gegensatz der Liebe und Macht verbunden werden, dem klassischen Begriffspaar der Dialektik, an dem sich jeder Dichter und Philosoph versucht hat und von dem es dementsprechend viele Anschauungen gibt. Doch auch Macht und Liebe bleiben Begriffe der Dichtung, die ihren Kontext zu häufig wechseln, um sie zu verifizieren, auch wenn wir sehr stark in diesen Begriffen ‘fühlen’.

[2] Man könnte sogar soweit gehen, eine physikalische Entsprechung zu ziehen und die Intentionalität des Agencytypus mit dem Prinzip von Ursache und Wirkung in Verbindung bringen und dem Kommunalen Typus mit dem Prinzip der Redundanz und Multikausalität.

[3] Markus und Kitayama, 1997,. Psych Rev.

[5] Michel Foucault, Freiheit und Selbstsorge, 1985