Die Geschichte des heiligen Grals

Parzival wird im Laufe der mythischen Romanerzählungen des Mittelalters zur zentralen Figur der Artussage. Sie spielt vor dem Hintergrund realer Ereignisse, als die Angelsachsen im 5. Jahrhundert n. Chr. in England einfielen und ein Krieger namens Arthur mehrere große Schlachten gewonnen haben soll. Der Druide Merlin erfährt durch ein himmlisches Zeichen, dass sein Hochkönig Ambrosius sterben wird und dass Uther Pendragon (Drachenhaupt) dessen Nachfolge antreten werde. Merlin verkündet Uther dieses Ereignis und verspricht ihm einen Sohn mit überragender Macht. Und so kommt es. Bei Uthers Krönung verliebt sich dieser in die verheiratete Igraine und zeugt heimlich ein Kind mit ihr. Ein Krieg entsteht, in dessen Verlauf Uther mithilfe Merlins den Ehemann Igrains tötet und das inzwischen geborene Kind Arthur in die Obhut des vertrauenswürdigen Ritters Keie gibt.

 

Die Feindschaften gehen weiter und Merlin schmiedet das Schwert Excalibur. Wer immer es aus einem Stein ziehen kann, dem gebührt das neue Königreich. Während eines Turniers, an dem Sir Ector, sein Sohn Keie und Arthur als dessen Knappe teilnehmen, vermisst Keie sein Schwert und bittet Arthur,  es ihm zu holen. Dieser findet es nicht und zieht stattdessen Excalibur aus dem Stein. Merlin verkündet daraufhin seine wahre Abstammung und Arthur wird zum neuen Hochkönig. Gegen den Rat Merlins heiratet Arthur die Königstochter Guinevere, die eine riesige Tafel mitbringt. Sie wird zum zentralen Punkt der neuen Burg Camelot und der Tafelrunde, an denen sich die auserlesenen Ritter in der folgenden Friedenszeit zusammenfinden.

 

Doch Rom fordert mal wieder Tributzahlungen. Arthur ernennt seinen Neffen Mordred zum Verwalter und zieht nach Gallien. Dieser verrät ihn und als er zurückzieht, verliert er seine besten Ritter in der Schlacht Camlann. Im Zweikampf mit Mordred wird auch er schwer verwundet und geht in das nebulöse Land Avalon. Mit der Sage verbunden ist auch immer wieder die Geschichte des heiligen Grals. Er symbolisiert wahrscheinlich die Probleme von Liebesheiraten, denn auch Arthur zog nach der Rückkehr aus Avalon gegen seinen Ritter Lancelot, der seine Frau Guineveres mitnahm. In der anonym überlieferten Dichtung Quête du saint Graal, geschrieben um 1215/30 nach dem dritten  Kreuzzug von Heinrich VI., fanden drei von Artus’ Rittern, Perceval, Bors de Ganis und Galahad, der Sohn des Lancelot, den Gral und brachten ihn jeweils an seinen Platz in einer Kirche im Nahen Osten.

 

Chrétiens du Troyes macht um 1170 aus Teilen der Sage eine mehrzyklische Geschichte. Im  fragmentarischen fünften Artus-Roman geht es um Parzival, einen überaus tölpelhaften, aber mit allen ritterlichen Kräften gesegneten Junker, der von schlichtem Gemüt und einfacher Motivlage gelenkt, durch Gottes Fügung Ruhm und Ehre erlangt und zum stärksten und heldenhaftesten unter den Rittern der Tafelrunde wird. Wobei die Aufnahme Parzivals in die Tafelrunde des mythischen britannischen Königs nur als Durchgangsstation der Gralssuche erscheint, doch dann zur Voraussetzung seiner Bestimmung als Gralskönig wird. Denn er begeht einen folgenschweren Fehler: Zu Gast beim verwundeten Fischerkönig versäumt er es aus falscher Rücksicht, ihn nach dem Grund seines Leidens bzw. nach einer blutenden Lanze und dem Gral zu fragen. Da er nicht wusste, dass er mit dieser Frage den Fischerkönig hätte heilen und erlösen können, kann dieser nicht erlöst werden.

 

Die Geschichte hat Wolfram von Eschenbach ca. 20 Jahre später in seinem Parzival aufgegriffen. Es beginnt damit, dass der noch jugendliche Held erfährt, dass es einen Königshof gibt, an dem sich junge Männer zu beweisen haben.  Das Bild entfacht in dem jungen Mann eine Sehnsucht nach Identität und Angenommensein. Seine Mutter Herzeloyde möchte nicht, dass er dorthin zieht. Als sie jedoch merkt, dass es ihm ernst ist, steckt sie in ein Narrenkostüm und gibt ihm einen alten Klepper als Pferd in der Hoffnung, dass er sich damit lächerlich macht und alsbald nach Soltane zurückkehrt. Sein Vater war schon bei einem Abenteuer ums Leben gekommen. Am Schmerz über seinen Weggang stirbt sie, was Parzival erst viel später erfährt. Vorher riet sie ihm auch, alle freundlich zu grüßen, was er dann übertreibt, indem er pingelig jeden grüßt und hinzufügt: „Das riet mir meine Mutter“.

 

Es sind in den patriachalischen Strukturen oft die jungen Männer, die ohne Väter aufgewachsen sind, die sich besonders beweisen müssen. Sie haben nicht das Selbstverständnis über ihre eigene Männlichkeit, weil sie die meiste Zeit mit ihrer Mutter oder anderen Frauen verbracht haben. Der Vater konnte nicht als ausgleichende Kraft in Erscheinung treten und ein natürliches Verständnis für Problemlösungen anregen. So ist auch die Geschichte vom heiligen Gral im Wesentlichen eine tragische Vater&Sohn Geschichte, in der der Sohn in Angelegenheiten des Vaters verwickelt wird, obwohl er dafür noch nicht reif ist.[1] Die Frage, die der Held zu stellen lernt, ist die nach der Bedürftigkeit anderer Menschen. Dadurch lernt er, seine eigenen Bedürfnisse so zu formulieren, dass sie keine unangenehmen Verwicklungen produzieren.

 

Die Grundstruktur von Aufbruch, Initiation und Rückkehr findet sich in jeder Heldenreise. Sie führt in eine jenseitige Welt, in der ein Einblick in kommunikative Praxen gewonnen wird, die zur Rückkehr in die Normalität hilfreich sind und den Schlüssel zum weiteren Leben darstellen. Auf der Reise begegnet er immer neuen Herausforderungen, erhält Hilfen und macht Fehler. Um sich überhaupt auf die Suche machen zu können, muss er zunächst die Sicherheiten seines bisherigen Lebens hinter sich lassen. Um den Auftrag (Schritt 1 auch bei Campbell) annehmen zu können, bedarf es zunächst der Überwindung seiner Verweigerungshaltung. Das dabei auftretende Motiv hat eine wesentliche Rolle für die weitere Geschichte. Astrologisch sind wir hier beim Sternzeichen Krebs, mit dem die Reise im Tierkreis am IC beginnt, wie auch in anderen Büchern von mir beschrieben (Bleeck 2016a, 2017).