Aus "Soziale Archetypen"

Astrologie lebt von der Dialektik, von der Auseinandersetzung mit vernünftigen Argumenten als Basis für das konkrete Handeln. Wissenschaftliche Dialektik hat auch einen ethischen Anspruch. Buber wies darauf hin, dass Dialektik bedeutet, dem anderen auf seine Weise zu erklären, was ich selbst denke, so dass er es nicht nur verstehen, sondern auch annehmen kann. Es bedeutet nicht, den anderen mit Argumenten zu erschlagen und in seiner vermeintlich intellektuellen Unterlegenheit bloßzustellen. Eine Wissenschaft wie die Soziologie oder auch die Astrologie ist zu einem bewussten Umgang mit ethischen Kriterien aufgerufen, weil sie als Gegenstand den Menschen in der Krise hat. Wenn wir nach Evidenzen und Beweisführungen in der Astrologie und Soziologie fragen, dann steht nicht nur die Frage nach dem „Wieso“ im Raum sondern vor allem die nach dem zwischenmenschlichen „Wie“. Dies sieht in der Praxis so aus, dass ich mich auf die Ebene des Menschen, dem ich meine Theorien erklären möchte begeben muss und ihm Empathie entgegenbringen, was die „rationale Vernunft“ trüben kann. Dieses Dilemma ist nicht durch besonders trockene Darstellung oder Reduktion auf rein wissenschaftliche Fragestellungen lösbar. Denn die interessantesten Fragen der Astrologie und Soziologie sind komplex und berühren den ethisch-menschlichen Bereich und den des Machtgefälles zwischen „Wissenden“ und „Unwissenden“. Das daraus resultierende Paradoxon, dass der sozial Forschende die Kluft zwischen den Menschen durch die einseitige Anhäufung von Wissen vergrößert, ist das Dilemma jeglicher Aufklärung und Anspruch an ethische Weiterentwicklung.

 

Wissenschaft muss distanziert sein, um den Sachverhalt kritisch untersuchen zu können. Der Wunsch nach Zugehörigkeit macht es für eine „Wissenschaft des Menschen“ jedoch schwierig sich in eine objektive Distanz zu begeben. Ja, das Erkennen einer „Wahrheit“ verhindert mit Gadamer letzten Endes die Möglichkeit der Dazugehörigkeit und damit die Bestimmung dessen was ist! [1] [… Er (Gadamer) unterstreicht, dass wir und dem geschichtlichen Werden nicht entziehen können, und dass wir die Geschichte deshalb in ihrer „Wahrheit“ immer schon übernommen haben müssen, bevor wir sie kritisieren können…][2] Allerdings kritisiert Ricoeur an Gadamer auch die Gegenüberstellung von Wahrheit und Methode. Distanznahme und Zugehörigkeit sind für Ricoeur gleichursprünglich. [… Die Distanznahme ist insofern keine verfremdete Einstellung, die aus einer methodischen Haltung erfolgt, sondern nur weil eine Distanznahme bereits erfolgt ist, stellt sich die Frage nach dem Sinn dessen, dem wir zuvor fraglos, jetzt aber in fragend-deutender Haltung zugehören…. Wenn Gadamer Wahrheit und Methode gegenüberstellt, missachtet er den Konflikt, in der es einzig Wahrheit für uns geben kann. Gadamer verkennt, dass die uns mögliche Wahrheit immer durch den Konflikt hindurch muss. Eine sich dem Konflikt entziehende Wahrheit aber kann von einer Illusion letztlich nicht mehr unterschieden werden…][3] 

 

Unsere Zugehörigkeit zu dem Gegenstand, den wir interpretieren, bedingt immer schon eine Distanznahme von der Gegenposition, die durch das Vorwissen um den Gegenstand gegeben ist. Diesen unendlichen Regress oder „hermeneutischen Zirkel“ kann man nur umgehen, indem man versucht, Schritt für Schritt rückwärts vor die ursprüngliche Bedeutung des Gegenstands zu gehen  Eine persönliche Bedeutung kann nur außerhalb der Entfaltung des bereits Gesagten existieren. Nach Heidegger hat sich diesem „Zulaufen auf den Tod“, wie er es bezeichnet eine „vorlaufende Entschlossenheit“ entgegen zu werfen im Sinne einer bestimmbaren konsequenten Haltung zu dem Gegenstand, die in einer „Stimmung“ - etwa stoischer Gelassenheit, christlicher Nächstenliebe, protestantischer Überzeugung usw. - zu geschehen hat. Diese Gestimmtheit war für Heidegger die Faktizität der Welt, nur in dieser Stimmung erfahren wir eine persönliche Bedeutung dessen was gemeint ist. Ricoeur präzisiert diese Gestimmtheit als an einer objektiven Gegebenheit orientiert, auch wenn sie subjektive Wirkung hat.  […Das Verstehen zielt nie auf eine ursprüngliche Sprecherintention, die der Interpret aus der symbolischen Sprache herauslesen sollte. Es ist grundsätzlich an einer objektvierten Bedeutung orientiert – der zu verstehende Sinn ist nicht der eines individuellen Geistes, sondern der einer objektiven Struktur….][4]

 

Die Symbole konkretisieren sich, wie in dem Kinderlied, das zum Laternenumzug am St. Martinstag gesungen wird: „Dort oben leuchten die Sterne, hier unten leuchten wir“. Zunächst ist kein Zusammenhang zwischen dem Leuchten der Sterne und dem Leuchten der Kerzen zu erkennen, als dass beide eben leuchten. Dann aber kommt ein wissenschaftlicher, philosophischer oder spiritueller Sinn dazu, der die Bedeutung des Lichts, bzw. „des Erkennens einer Verschiedenheit“ in Bezug setzt. In diesem Bezug ergibt sich automatisch die Frage der Kausalität: „Sind die Sterne die Ursache für unser Leuchten unten, oder sind unsere Kerzen die Ursache dafür, dass wir die Sterne als leuchtend erkennen können.“ Diese Frage lässt sich nicht auflösen, ohne darüber nachzudenken, welche Vorstellungen für uns mit dem Begriff „Leuchten“ verbunden sind. Seit wir „wissen“, dass das Leuchten der Sterne durch einen Verbrennungsvorgang (bzw. eine Kernfusion) hervorgerufen wird, können wir die Verbindung zwischen den beiden Phänomenen erkennen und wissen, dass sie unabhängig voneinander auf ihre Weise leuchten. Die Sterne leuchten nicht nur, weil wir dies im Vergleich mit einer brennenden Kerze so bezeichnen, sondern weil sie in ihrem eigenen Prozess unabhängig von ihrem Erkannt sein durch uns leuchten.[5] Das Licht der Sterne ist ein anderes, als das der Kerzen. Durch die Erkenntnis eines gemeinsamen Ursprungs im Verbrennungsprozess erscheint uns das Leuchten vergleichbar und auf andere Lichtphänomene übertragbar.

 

Wir können das Leuchten der Sterne nicht erklären, wenn wir wissen wie Kerzen „funktionieren“, sondern erst wenn wir um den Verbrennungs-Vorgang in Sonnen wissen. Die Erkenntnis über ein Leuchten der Sterne ist eine Metamorphose des Wissens um Verbrennungsvorgänge, in den viele Erkenntnisse aus verschiedenen Wissensgebieten einfließen, vom Vulkanausbruch zum Wetterleuchtens, über die Elektrizität und Quantenphysik bis zum Leuchten eines Käfers. Mit Heidegger ist Erkenntnisfähigkeit  des Menschen darauf beschränkt zwischen diesem Sein (der gewissen Erfahrung, dass unsere Kerze dann leuchtet, wenn wir sie angezündet haben) und abgespalten Seienden (der Erkenntnis, dass Licht dadurch entsteht, dass ein Verbrennungsprozess in Gang gesetzt wird) eine Einheit zu schaffen. Ein Verstehen des Prozesses geht voraus, es bedingt eine Annahme einer wie immer gearteten Erkenntnis über das Phänomen.[6] Beobachtung und Kommunikation verändern den Gegenstand in der Wahrnehmung, indem sie den Prozess des Erkennens beschreibbar machen.[7]. Das Denken in Systemen gibt uns eine gewisse Struktur vor, wie wir einen Gegenstand zu denken haben – und als solchen nehmen wir ihn auch wahr. Die Veränderungen der Wahrnehmung geschehen zum einen an den Grenzen der Systeme, wo die Operationen im Austausch mit der vom System definierten Außenwelt vollzogen werden. Zum anderen geschehen sie aber auch in der Beobachtung dieser Operation und in der Reflexion über die erfolgte Handlung.

 

Luhmann nennt dies in Anlehnung an Spencer Brown den Re-Entry, der in etwa dem entspricht, was Ricoeur mit der 2. Reflexion und Heidegger mit dem ontologischen Zirkel meinen. Die Wahrnehmung der eigenen Operation (z.B. die Sterne als Kerzen zu definieren und dann mit anderen Instrumenten zu vermessen) führt zu einer Veränderung der Wahrnehmung des Gegenstands und gleichzeitig zu einer systembedingten Unmöglichkeit, diese Wahrnehmungsänderung bei sich selbst wahrzunehmen. Wenn ich einen Stern einmal als physikalischen Verbrennungs- oder Fusionsvorgang gesehen habe, kann ich ihn nicht mehr als „Kerze am Himmel“ sehen und eventuell in Streit mit Menschen geraten, die die Änderung meiner Wahrnehmung nicht mitbekommen haben. Ein dritter Beobachter kann jedoch zwischen diesen Positionen vermitteln. Übertragen auf soziale Prozesse bedeutet dies, dass wir unsere Wahrnehmungen jeweils am aktuellen Diskurs orientieren müssen, weil wir nicht sehen können, was wir nicht sehen und so angewiesen sind auf die Spiegel anderer Beobachter. Da jede Wahrnehmung auf ein System verweist, dass diese Wahrnehmung verifiziert, ist Beobachten immer auf die Referenz der vorhergehenden Operation angewiesen, die durch das System selbst in der Absicht geschehen ist, weitere Operationen anschließen zu lassen, denn das ist der Mechanismus, der das System am Leben erhält. Das System entscheidet, (bzw. der Konsens seiner Teilnehmer), ob es sich die veränderte Wahrnehmung zu eigen macht und seine Grenzen in diese Richtung verschiebt, oder ob es innerhalb der gewohnten Sichtweise bleibt. Übertragen auf die Fragen sozialen Alltags bedeutet dies, dass wir unsere Positionen immer dann neu aushandeln müssen, wenn unsere Referenzsysteme in Veränderung begriffen sind und die eigene Beobachtung sich nicht mehr mit dem deckt, was an der Peripherie passiert.

 

Der Unterschied zwischen Realität und Mythos ist im Konstruktivismus auf der sprachlichen Ebene verortet. […Das Ziel jeder strukturalistischen Tätigkeit … besteht darin, ein ‚Objekt‘ derart zu rekonstituieren, daß in dieser Rekonstitution zutage tritt, nach welchen Regeln es funktioniert (welches seine ‚Funktionen‘ sind). Die Struktur ist in Wahrheit also nur ein simulacrum des Objekts, aber ein gezieltes, ‚interessiertes‘ Simulacrum, da das imitierende Objekt etwas zum Vorschein bringt, das im natürlichen Objekt unsichtbar oder, wenn man lieber will, unverständlich blieb…][8] Der Konstruktivismus, wie er durch Kants Schriften durchklingt behauptet, dass wir die Dinge, wie sie in der Welt sind, niemals real erkennen können, sondern immer nur durch den Filter unserer Wahrnehmungsorgane. Das was wir erkennen, ist ein Abbild unserer inneren Gehirn-Struktur. Eine Tasse ist eine Tasse, weil wir sie als solche gemäß einem inneren Abbild erkennen und rekonstruieren. Die reale Tasse wird sich uns nie zeigen. […Wahrnehmbar werden laut Kant ‘Dinge’ immer nur mit Hilfe subjektiver, konstruktiver Formbildungsprozesse. Das heißt im Klartext: Nicht nur Farbe und Geschmack, sondern ausgerechnet die Zentralwerte der prominentesten Metaphysiken, nämlich Raum und Zeit, werden laut Kant vom Subjekt in die Realität eingebracht und jeder Formung wahrnehmbarer Objekte zugrunde gelegt. Die Welt in Raum und Zeit wird von Kant als etwas vom Menschen nicht nur Erkanntes, sondern Erzeugtes begriffen. Gleiches postulierte Kant für die nicht wahrnehmbaren Gegenstände der Vernunft, also die Begriffsbildung (s. Kategorienlehre), und keineswegs nur für die Mathematik und Geometrie. ‘Erkennen’ wird hier also (gut konstruktivistisch) erstmals identisch mit ‘erschaffen’….][9]

 

Husserl beschreibt das Zusammenwirken im Personenverband als geprägt von komprehensiven, verstehenden Akten. In dieser Erfahrung vom Dasein des Anderen erscheint der Andere als Person, die auf Gegenständlichkeiten einer Umwelt bezogen ist, auf die wir uns gemeinsam richten. Es muss für ihn eine Intention, eine Absicht geben, in der wir beide in dieser Gerichtetheit auf dieselbe Umwelt verbunden sind. Die Empfindungseindrücke müssen schon vorher auf ein gleiches Ziel gerichtet sein, um in eine gemeinsame Interaktion zu kommen. Dieser Akt konstituiert die Umwelt des Anderen als gemeinsame Umwelt, über die wir uns sprachlich verständigen können, bzw. deren Realität wir durch die sprachlichen Akte hervorrufen.

 

Es gibt also kein Reden, kein Untersuchen oder Wahrnehmen, dass nicht auch konstituierend wirken würde, sondern es entsteht immer in der Absicht, den Gegenstand auf eine Weise zu verändern, die für mich günstig ist. Wir können nicht anders, als uns durch diese Bezugnahme im Personenverband zu definieren. Eine „unabhängige“ Position gibt es in diesen Sinne also nicht, nicht in den kulturellen Verrichtungen und auch nicht in den Wissenschaften. Wenn wir einen anderen Menschen betrachten, dann geht es sowohl um die körperliche Verfassung und um objektiv gegebene Zuordnung zu Gruppen, Schichten und Milieus, als auch um geistige, aus den Vorstellungen von Typologien und symbolischen Merkmalen gewonnene Überzeugungen von diesen. Der komprehensive Akt verbindet die verschiedenen Eindrücke von einer anderen Person zu einer Einheit und ordnet die Mitteilungen, die an uns ergehen auf eine Weise vor, die uns ein Verstehen ermöglicht.[10] Auf die Astrologie übertragen heißt dies, dass ihre Typen und Archetypen sich mit der Untersuchung verändern, dass sie variabel mit der Art der Betrachtung  eigene Einstellungen spiegeln und nicht festgelegte Formen sind, in denen ein „Wahrheitswert“ liegt, von dem man in logischer Form weitere Schlüsse ziehen kann.

 

Diese „phänomenologische“ Vorstellung ist das Mittel, den Anderen als Teil unserer Beschreibung der Welt zu verstehen und damit auch seine Meinung über uns als Spiegel der eigenen Betrachtungsweise, die durch uns selbst hervor gerufen ist. Die Frage, die sich darauf stellt ist, was dann das „wahre Selbst“ wäre, wenn alles relativ ist, ob es überhaupt eine Identität gibt, die uns als einzigartig kennzeichnet und an der wir beschreibbar sind (was ja eine wesentliche Aufgabe der Astrologie ist, die das Horoskop als Lebensplan oder Willensbekundung der Persönlichkeit sieht). Manche Existentialisten gingen in Rückblick auf Husserl soweit zu sagen, dass das „Ich“ sogar dieser Andere ist, dass wir nur durch die Vorstellungen anderer existieren. Im phänomenologischen Sinne ist dies richtig, da wir uns selbst nicht als das Phänomen erfassen können, als das wir auf andere wirken und erscheinen. Doch in der Praxis konstituiert sich unsere Auffassung von dem, was wir selbst sind, durch die Vergleiche im gesamten Personenverband, durch das Netz der verschiedenen Wirkungen, die wir auf andere erzielen und auf die darin liegende Struktur und nicht den einzelnen Menschen. Wir schließen im Einzelfall zurück, welche Bedeutung wir für andere haben, doch können wir dieses nur aus einem Gesamtkontext tun, der sich mit der Situation erst ergibt.

 

Dementsprechend verhalten wir uns auch – aufgrund von Erwartungen, wie uns andere in Bezug auf diesen Gesamtkontext sehen und nach denen wir uns richten wollen. Es besteht also in allen unserer Ansichten sowohl eine Beziehungseinwirkung, sei sie abstrakt oder objektiv auf einen Gegenstand gegeben, der sich dadurch konstituiert, dass ihn verschiedene Menschen denken können und damit auch in ihrer Wahrnehmung dafür einen Begriff haben, über den sie sich verständigen können, als auch eine konkrete Operation innerhalb eines definierten Rahmens. Für Husserl geht es deshalb vor allem um den ersten Impuls als Grundmotiv allen Handelns, um das unverstellte Erkennen des Wunsches, der hinter der bereits konstituierten Vorstellung liegt; nur in diesem Impuls sind wir für andere authentisch begreifbar. In diesem ersten Impuls liegt die Reaktion auf die Struktur unverstellt von der Beziehungseinwirkung vor, nicht in dem Sinne, dass sie unser Motiv entlarvt, sondern uns selbst eröffnet, wie wir zu dem Gegenstand stehen, bevor uns die „gesellschaftliche Konvention“ einholt. Die Welt ist für Husserl ein Horizont der prinzipiell immer außer Reichweite liegt. Er ist aber thematisch greifbar und in dieser ursprünglichen Gerichtetheit auf das Thema liegt der Bezug für Menschen. Die Gründe dafür können vernünftiger oder irrationaler Art sein. Es ist für Husserl wichtig zu sagen, dass in dieser ersten Absicht keine Kausalität erkennbar sein kann, ja dass jeder Versuch, eine solche zuzuweisen zu einem Psychologismus führt, einer Einrede eines Motivs, dass aus der Handlung rückkonstruiert wird und nichts mit dem ursprünglichen Motiv zu tun hat. […Als Handelnder fasse ich, wenn ich mich aufgrund bestimmter Motive zu etwas entschließe, weder den Entschluss als kausale Wirkung der Motive  noch mich selbst, (das Subjekt des Entschlusses) als kausal bestimmt durch das Ich, das als Subjekt der motivierenden Erlebnisse fungiert. Diese merkwürdige Verdopplung des Subjekts, die für eine kausale Verklärung notwendig wäre… bezeichnet Ryle später als Kategorienfehler….][11]

 

Ausschlaggebend für die Entstehung von Ich-Bewusstsein ist also, dass die anderen als Andere und doch als mir gleich wahrgenommen werden. Erst indem wir als „gleichwertige Mitspieler“ anerkannt werden, können wir uns selbst und den anderen voll erkennen. „Objektivität“ ist eine Folge von Einigung, die ein Verstehen und gemeinsames Handeln von verschiedenen „Ich-Bewusstseinen“ bereits voraussetzt, die sich gegenseitig beobachten. Ein Kind ist dann in der Lage zur objektiven Situationseinschätzungen, wenn es von der eigenen und der Position der anderen abstrahieren und den Bezugspunkt selber wählen kann. Sprache setzt immer auch die Dinge zueinander und zum situativen Kontext in Bezug und ist somit eine schöpferische Tätigkeit und keine bloße Reproduktion von Sinnesdaten und reflexartigen Reaktionen darauf. Ich muss versuchen […die unaufhebbare Andersheit des Anderen aus seiner Weltperspektive so zu rekonstruieren, dass ich sie nicht durch mein Vorverständnis mir angleichend nivelliere. Wenn ich dem anderen im Gespräch mein Verstehen wiederum zurückspiegele, kann ihm dies neue Verständnismöglichkeiten erschließen… Diese Form dialogischer, sich auf die Andersheit anderer einlassender Kooperation ist die Basis für eine elementare Moralität… und bildet zugleich den Grund für die unerschöpfliche Kreativität von Entwicklung…][12] Indem wir an das Schicksal der anderen Menschen gekoppelt sind, ist die Suche nach unserer Identität immer mit der Einigung auf Sachverhalte verbunden, die eine rationale Welt konstituieren, in der das Individuum immer wieder in Gefahr gerät, sich emotional zu verlieren. Das Sich-Selbst-Sein hat da den höchsten Wirkungsgrad, wo es mit den Positionen der anderen zusammengehen kann, ohne sie zu manipulieren oder in ihren Emotionen abzuwerten und doch einen klaren Punkt zu machen. 

 

Ist es nicht einfach meist<ins> Gewohnheit, wie wir die Welt betrachten</ins>? Wie oft sind wir wirklich bereit, unsere Anschauung zu hinterfragen und für den Moment die gegenteilige Position anzunehmen.<ins> </ins>Wir meinen, unser Selbst zu bewahren, wenn wir so handeln wie wir immer handeln und so denken, wie wir immer denken, aber gerade dann <ins> bestimmt das „Schicksal“ </ins>von außen<ins> die Veränderungen, die mit uns geschehen. </ins>[… Das „ich bin sicher oder das „ich zweifle“ können auch einen Unterton der Herausforderung oder Ironie enthalten. Wenn ich sie verwende, kann ich mich dem anderen wiedersetzen und mich von ihm unterscheiden. Im Gegensatz dazu bietet das „ich hoffe“ eine davon verschiedene Orientierung an; wenn es ausgesprochen wird, so ist es nicht „gerichtet gegen“ und gleichzeitig „gerichtet auf“, das „ich hoffe“ ist immer frei von Aggressivität…][13]

 

In den modernen Sozialwissenschaften wie in der Astrologie sind Methode und Praxis immer als eine Einheit zu sehen. Gewonnene Daten fließen immer zeitnah in die Beobachtung ein und verändern die Hypothesen. Dieses Dilemma steht im Kontext zur Eingeschlossenheit in das Problem der jeweiligen sozialen Situation. Egal ob ich Obdachlose beobachte, Leistungssportler, Manager oder Pflegekinder, einen Saturn in Haus 1 oder eine Pluto/Venuskonjunktion,  immer ändert sich mein Urteil während des Prozesses der Datenerhebung. <ins>Die Vorstellungen</ins><ins> sind in dem Moment </ins><ins>Geschichte,</ins> in dem<ins> ein Ziel erreicht ist, ein W</ins><ins>eg gegangen</ins>, <ins>oder eine Vorstellung sich aufgelöst hat und alle Konstrukte, die uns auf diesem Weg geholfen haben, neu ausgehandelt werden</ins> können. <ins>Die unreglementierte Erfahrung ist für Adorno Ausgangspunkt für jeg</ins><ins>l</ins><ins>iche Beschreibung</ins> menschlicher Erfahrung<ins>. </ins><ins>[.</ins>.<ins>. nur eine Erfahrung, der es, ohne </ins>dass<ins> sie sich vorschnell durch vorhandene Theorem absichere…, noch gelingt, an der </ins>P<ins>hysiognomie der Gesellschaft Veränderungen wahrzunehmen, kann zum Ansatz ihrer fälligen Theorie helfen…]</ins><ins><ins>[14]</ins></ins>

 

Das Ziel ist also nicht so sehr die unbedingte Freiheit, sondern das Erreichen von Zwischenzuständen, in denen eine Art Reset, eine neue Erfahrung frei von Vernunftgründen möglich ist. Für Alfred Schütz geht es vor allem um die Widersprüche, die jegliche „Vernunft“ oder „rationale Theorie“ selbst produziert, und die den Menschen von sich selbst und seiner eigentlichen Bestimmung entfernten.<ins> […die Struktur der Sozialwelt ist das Resultat dieser interaktiven Prozesse: sie ist gegliedert durch intersubjektiv g</ins><ins>eltende Handlun</ins>g<ins>s-</ins>,<ins> Situations- und Personentypologien, die unser gemeinsames kulturelles Wissen von der Welt ausmachen</ins>…]<ins><ins>[15]</ins></ins><ins> </ins>Wo Gefühle nicht authentisch gelebt werden, kann auch keine sinnvolle Begründung für Verhalten erfolgen. Voraussetzung für das Verstehen der Welt ist die Annahme des Anderen und die Akzeptanz seiner Handlungsweisen. Freiheit ist daraus resultierend nichts anderes als die Eröffnung von Handlungsspielräumen im gemeinsamen Verständnis um die Notwendigkeit der Situation. Das kommt der ursprünglichen Definition der Antike wieder sehr nahe, die die Freiheit immer im Kontext der Suche nach dem wahrhaft göttlichen im Menschen sah.

Die „Wirklichkeit“ ist nach konstruktivistischer Idee also immer dieser undefinierbare Zwischenraum, in welchem in der Situation die Bedeutung für die beiden unterschiedlichen Seiten entsteht. Gleichzeitig entstehen Mythen die helfen, unvertraute Eindrücke in die eigene Anschauung einzubauen und für den anderen eine zweite Wirklichkeit verfügbar zu halten. Der Satz mit Jupiter ist nach Luhmann noch keine Kommunikation. Es hat keine Interaktion stattgefunden. Er wird erst zur Realität, wenn wir anfangen uns danach zu verhalten, wenn der „Empfänger“ der Botschaft das Mitgeteilte als Weisung für sein Handeln versteht und seinerseits kommentiert. Zwischen allem, was gesagt wird und was verstanden wird, liegt eine Grauzone des Unbekannten und Unbenannten. Diese Grauzone trennt das System von seiner Umwelt, das Bekannte vom Unbekannten. Der Mythos kennt keine inhaltlichen Beschränkungen. Fast alles kann mit einer Aussage, mit einem Mythos versehen und dabei gesellschaftlich angeeignet werden.

Durch die Verwendung von Mythen, Parabeln, Analogien, Allgemeinplätzen, Tautologien und Paradoxa wird die Sprache in ein Rätsel verwandeln, dass kein Computer, keine noch so geniale Matrix auflösen kann. Jedes rationale System erzeugt seine eigenen Mythen, indem es in dem Dilemma gefangen ist, sich selbst zu beweisen, und macht dem Menschen seine Irrationalität deutlich. Normen und Regeln müssen immer interpretiert und in diskursethischen Bezug zum Geschehen gesetzt werden, immer neu generiert und auf die einzelne Situation bezogen, um der Komplexität menschlichen Handelns gerecht zu werden. Der astrologische Tierkreis entspricht einem linguistischen Mechanismus der Auffächerung in doppelte Negationen, die sprachlichen Mechanismen erlauben, Widersprüche zu kennzeichnen, ohne Widerspruch zu provozieren. Gleichzeitig aber kann der Mechanismus verwendet werden, um in einfacher Weise Vorurteilen Vorschub zu leisten, und das begründen, was „wir immer schon gewusst haben“.  Neben dem zyklischen Muster baut der Tierkreis auf Gegensätzen auf. Jedes Zeichen im 12er System hat sein Gegenzeichen, jeder Planet sein Komplementär und die Aspekte ihre „weichen und harten“ Seiten. Dies macht es einfach, schnelle Deutungsmuster nach „Kochbuchmanier“ abzugeben und verinfachend nach dem Muster der behavioristischen Symptomkurierung zu behandeln.

 

Beratung nach der Art psychologischer Symptomverschreibung fördert eher das Selbstbewusstsein des Beraters, der sich für einen guten Psychologen hält und ein Teil seines „Erfolgs“ resultiert einfach aus dem Glauben, dass er dem Mitmenschen helfen könnte. Selten sind die gut gemeinten Ratschläge in der Praxis umsetzbar und so bleiben dauerhafte Verhaltensänderungen aus.[16] Der Klient kann zu einem Dauerpatienten auf den Hotlines[17] werden, beratungssüchtig, weil er die versprochene Hilfe immer kurz vor Augen hat, aber nie erreichen kann. Die „Psychologie in der Astrologie“ ist nur für den erkennbar, der sich seiner Abhängigkeit auch bewusst ist. Damit braucht er eigentlich keine „Hilfe“ mehr. Trotzdem wird er sich weiterbilden wollen und anderen Menschen Rat geben, die sich ihrer Handlungsfolgen nur wenig bewusst sind. Er kann ihnen den Unterschied zwischen „wahrer“ und „falscher“ Astrologie nie bewusst machen, aber er kann an einzelnen Beispielen immer wieder aufzuzeigen versuchen, welche Urteilsstrukturen achtsam und verantwortungsvoll sind und welche auf Sensationslüste und zielen aus „niederen Instinkten“ entspringen.

 

Astrologie ist zunächst einmal ein autodidaktisches System zum Selber lernen; es ermutigt dann zur weiteren Beschäftigung, wenn es die Allgemeinplätze der Weisheitslehren durch aktuelles Wissen ersetzt und in der Lage ist, verschiedene Ansätze aus der Praxis des Lebens kritisch miteinander zu vergleichen. Eine qualifizierte Beratung zielt nicht auf kurzfristige Sensationen, sondern auf langfristiges Verstehen von Zusammenhängen, die nachvollziehbar bleiben müssen. Die Astrologie ist ein Instrument zur Selbstreflexion, sie fördert im systemischen Sinn Selbstbezüge zutage, die uns verborgen bleiben, wenn wir sie nicht durch die Überhöhung als „Zukunftswissen“ und „magische Einsicht“ drastisch bewusst machen. Der Alltag ist durchdrungen von Vorstellungen, die auf Illusionen und falsch verstandenen Absichten beruhen. Vor allem im psychischen Leiden und in Lebenskrisen sind wir bereit, Heilspfaden zu folgen, die schnelle Besserung und Einsicht in die Problematik versprechen. Hier zeigt uns die Astrologie unsere Schatten und mahnt, nicht nach vereinfachenden Weltbildern und schnellen therapeutischen Erfolgen zu schielen. <ins></ins>

Eine Funktionalität, die den automatischen Bezug zum Zufall und der Beliebigkeit mancher Erscheinungen (auch religiöser) mit einbeziehen würde, führte zu äußerst komplexen Fragestellungen, die nicht unbedingt das Streben nach Einfachheit astrologischer Praxis förderten. Die Würdigung des Zufälligen und „Schicksals“ (in der griechischen Mythologie Ananke und Moira genannt) und damit eines der schwierigsten Merkmale menschlichen Erlebens, bleibt der Reinkarnationsphilosophie vorbehalten, wie sie in den vedischen Schriften und auch im Frühchristentum gepflegt wurde und in der Neuzeit etwa von Blavatsky und Steiner aufgegriffen wurde.[18] Die Betrachtung vergangener Leben und eine Verknüpfung von karmischen Geschehnissen hat in der Auflösung des Zufälligen ihren individuellen Zweck, weil das Bewusstwerden um den Zusammenhang heilsam sein kann. Unser Erleben ist zu einem großen Teil von inneren Prozessen gesteuert, in die wir nicht „hineinschauen“ können. Unser Bewusstsein agiert in einer Art Tunnel, der nur die Ergebnisse seiner Prozesse präsentiert, nicht aber die Gründe für das Zustandekommen. In diesem Tunnel (Metzinger) fließen Erinnerungen, Gefühle und Wahrnehmungen zu Handlungen zusammen, die durch vorgeprägte Vorstellungen bestimmt sind. Das Gehirn greift dabei nicht auf die aktuellsten Informationen zurück, sondern auf bereits stabilisierte Zwischenbilder. Alles, was wir wissen, denken und tun, hat eine Vorgeschichte und ist in diesem Sinne nicht frei, sondern basiert auf Vorerfahrungen. Wir können nicht sehen, was wir nicht sehen und wir können auch nicht wissen, was wir nicht wissen und was uns wirklich zu einer Handlung bewegt hat. Wir sind zwar die Schöpfer unserer eigenen Welt, aber diese Welt ist begrenzt durch den Ausschnitt, in dem wir sie jeweils betrachten. Der freie Wille und das Erkennen jeder Absicht von Handlung ist eine Art Erkenntnisziel, ein Bedürfnis und nicht eine gegebene Voraussetzung. Er kann sich immer nur auf ein Segment des Lebens beziehen, einen künstlichen Rahmen, innerhalb dessen wir uns der Illusion der Freiheit unwidersprochen hingeben können.

Mit ihrem Paradigma der Determination und der Behauptung, dass unser Schicksal zumindest zum Teil aus den „Sternen ablesbar“ sei, führt sich das astrologische Denken selbst in eine systemimmanente Paradoxie.[19] Je mehr ich versuche, im Leben einen roten Faden, eine Art Vorsehung zu finden, desto mehr wird sich dieses Leben als zufällig und beliebig herausstellen. Diese Paradoxie ist über das Verständnis des Zusammenhangs zwischen Zeit und Kausalität auflösbar. Denn Kalenderzeit und subjektives Zeitempfinden sind zwei verschiedene Dinge. Die Bewegung der Sterne gibt uns zu Objektivierung eine Referenz (Zeitereignis) zum persönlichen Erleben und Erinnern. Die Konstruktion eines kausalen Zusammenhangs im Sinne einer „Festlegung auf das Schicksal“ geht von einem Zusammenhang des kollektiven und persönlichen Erlebens aus, der durch die Referenzzeit der kosmischen Bewegungen vergleichbar gemacht wird. Damit konstruiert die Astrologie einen Erwartungspol zwischen der „gefühlten Geschichte“ und der durch den Sonnen- und Sternenlauf belegbaren Datierung der Ereignisse, die zugleich in den Mythos der Erzählung einfließen und das Zukünftige mit dem Gegenwärtigen über eine Bildsprache rekonstruiert. Dieser Zusammenhang kann Korrelationen hervorbringen und Evidenzen, die manchmal als unausweichlich erscheinen. Das heißt aber nicht, dass dazwischen ein kausaler Zusammenhang bestehen muss. Zwischen erlebter Wirklichkeit und messbarer Zeit ist immer eine Art Modell zwischengeschaltet, das in Form von Mythen, Überzeugungen und Ideologien interpretierend wirkt. Raum- und Zeitvorstellungen wandeln sich auch in der Physik und je nach Fach werden unterschiedliche Modelle für denselben Sachverhalt eingesetzt. 

 

Die Erwartung an die eigene Reaktion produziert nach konstruktivistischer Sicht die Erscheinungsweise der Gegenstände in der Welt, in dem der Andere zum Spiegel unserer eigenen Befindlichkeit wird. Der Konstruktivismus erklärt in verschiedenen Spielarten, wie der Mensch die Wirklichkeit wahrnimmt und ob er überhaupt in der Lage ist, so etwas wie objektive Tatsachen außerhalb seiner eigenen Struktur zu erkennen. Der Mensch ist wie die Welt immer ein „Anderes“, das nur indirekt erkennbar ist in der Reflexion auf sich selbst. Die aus unseren Wahrnehmungen resultierenden Erwartung an dieses „Andere“ ist immer auch eine Reproduktion der eigenen Wirklichkeit, die wir durch das Lesen der „unheimlichen Zeichen“ zu verstehen und besänftigen versuchen. Wir sehen den Anderen nicht nur so, wie wir uns selbst gerne hätten, sondern wir verstehen uns selbst auch über die Erwartung des Anderen, den wir nicht vollständig verstehen. Die Mythen sind in diesem Sinne nichts anderes als die Verdichtung von Gewohnheits-Erfahrungen einer angstmachenden Außenwelt in einer erträglichen und kommunizierbaren Form, deren Realität als subjektive Form in uns immer auch anders sein kann, indem wir zur Veränderung fähig sind.  Luhmann nennt die Mythen deshalb eine operative Fixierung der Identität.[20]  Das heißt für die Aussagen der Astrologie konkret, dass immer auch das Gegenteil der Deutung möglich sein kann und trotzdem oft das Erwartete eintrifft, weil es an die gewohnten mythologischen Bilder anknüpft und innerhalb dieses Erfahrungsraumes „berechenbar“ bleibt. Das „Besondere“ wird sichtbar, indem das Allgemeine individuell beschrieben und entschieden wird. Das ist das Hegelsche Prinzip der Dialektik. Ein Mensch mit Venus am Aszendenten wird allgemein höflich erscheinen, im Besonderen aber kann er mit starker Plutobetonung seine Interessen direkt verteidigen. Gerade im  Kontext der Plutobetonung gewinnt die Eigenschaft Höflichkeit eine konkrete Bedeutung, auch wenn sie zunächst widersprüchlich erscheint.  

 

Der Erfolg von astrologischen „Interventionen“ beruht auf konkreten Anzeichen, dass die innerste Hoffnung erhört, verstanden und von einem anderen Menschen positiv gewertet werden wird, ohne dass ich mich zu diesem Menschen in einer Abhängigkeitsbeziehung befinde. Eine Vorstellung von Werten und Leitgedanken von Kultur entwickelt der Mensch durch die freie Meinungsäußerung im Diskurs, durch das Zeigen von authentischen Emotionen, durch den Mut, sich gegen Übergriffe und Normforderungen zu wehren und durch Überzeugung von der Bedeutung sozialen Handelns für ein gemeinsames, gleichberechtigtes Dasein. Entscheidungen im Leben sind weniger von der Art: „Welches Haus kaufe ich“ oder „Welche Aktie verkaufe ich“, sondern sie betreffen das dahinter stehende Konfliktthema. Warum wird so eine Frage überhaupt zu einer existentiellen Angelegenheit? Welche Gruppen- und Beziehungsdynamik steht dahinter, dass ein Mensch zu einer Entscheidung gezwungen ist, deren Folgen er nicht selbst überblicken kann? Gibt es grundsätzliche Widersprüche in der Einstellung zum eigenen Lebensweg und der beobachteten Handlungsrealität? Wie kann der Widerspruch aufgedeckt werden, ohne belehrend oder abwertend zu sein?

 

Der Beobachter und Interpret des Schicksals eines anderen Menschen kann grundsätzlich niemals neutral sein, da er um die Probleme erkennen zu können, Teil des Prozesses sein muss; er kann sich jedoch seiner eigenen Wertungen bewusst werden. Hinter jedem „Wie entscheide ich mich“ steckt ein: „Wie trifft man ‚richtige‘ Entscheidungen“. Gerade dann, wenn existentielle Fragen auftreten, ist der „nüchterne Verstand“ verwirrt, wenn „das Schicksal zuschlägt“, Krankheit und unerwartete Belastungen auftreten und die eigenen Wünsche, Erwartungen und Prophezeiungen den Geist narren und an der grundsätzlichen „Ordnung der Welt“ zweifeln lassen. In dieser Situation helfen die gewohnten Verhaltensweisen und „Heiltechniken“ nicht. Es geht darum, die Konflikte aus einer anderen Warte betrachten zu lernen und die Begrenzung des bisherigen Handelns und Denkens zu erkennen, ungewohnte Interventionswege zu gehen und sich auf die spontanen und emotionalen Dinge einzulassen, auch wenn sie irrational erscheinen. Emotion und Intuition richten sich immer in die Zukunft. Wenn wir etwa einen Umzug planen, so ist das Gefühl dafür entweder angenehm oder unangenehm, wir nehmen uns in der Zukunft im neuen Haus wahr und vermissen aus dieser Zukunft rückwirkend vielleicht die Annehmlichkeiten des alten Hauses oder sehen neue Möglichkeiten, die uns gut gelaunt stimmen. Die Intuition lässt uns die richtigen Leute auswählen für den Umzug und die Renovierung, sie wählt den geeigneten Tag für eine Begegnung aus usw. Wesentliche Entscheidungen unseres Lebens sind viel weniger von Rationalität geprägt, als wir denken. Sie basieren auf eingeübten Vorstellungen von Zukunft, die uns meist unbewusst bleiben und nur ab und zu durch Gefühle und Emotionen vermittelt werden.

 

Die Aufdeckung des Widerspruchs zwischen Gefühl und Verstand sucht nach „Begründungen“ im Außen. Meine Faulheit lässt mich nach Abläufen suchen, in denen Gründe für dieses Verhalten stecken. Oder wenn ich bemerke, dass ich dazu neige, zu langatmige Erklärungen abzugeben, dann suche ich automatisch die Ursache dafür in mir oder anderen mittels Kausalattributionen, die eine Vorstellung von mir in der Vergangenheit und Zukunft hervorrufen, wer ich war und wer ich sein will, und entziehe mich damit die Gegenwart. Indem ich diese Differenz in mir selbst beobachte, während ich meine langatmigen Erklärungen abgebe und die Zuschauer beobachte, erfahre ich mich selbst in der Unfähigkeit, die direkte Ursache erkennen zu können und finde stattdessen ein Symbol, einen Mechanismus, der das Geschehen für mich und die Zuhörer ausdrücken hilft.  Z.B. dass Merkur auf 1 Grad Löwe steht und immer ein bisschen pathetisch wirkt, was aus der Erfahrung resultiert, dass ich mich als Kind in Grenzsituationen häufig unverstanden fühlte (der Pluto meiner Eltern steht auf 29 Krebs und 3 Grad Löwe) und nur durch lautes Auftreten zu hören war, was ich jetzt zu vermeiden suche und deshalb so langatmig wirke. Die Langatmigkeit  ist natürlich weder meine Absicht, noch eine Folge aus irgendwelchen Kindheitstraumatas. Sie ist das, was ich selbst als redundantes, zufälliges Rauschen von Kommunikation wahrnehme, und mir selbst immer wieder in Erinnerung rufen muss, indem ich es wieder und wieder reproduziere, bis ich eine Möglichkeit gefunden habe, mich so kurz wie möglich zu fassen, auch wenn dabei vieles, was zu sagen wäre, auf der Strecke bleibt und mir selbst der Sinn nicht genügt.

 

Astrologische Aussagen zielen auf diesen unkalkulierbaren Faktor der gefühlten Zukunft. Der Hinweis auf einen etwaigen Planetenhintergrund in der Absicht der zeitlichen Kontrolle des Geschehens versucht die Bedeutung der Konstellationen im Vorhinein zu bestimmen und damit rückwirkend wahrscheinlich zu machen. Astrologie baut darauf, dass die Teilnehmer am Kommunikations-Medium Astrologie sich in spielerischer Weise an die Vorgaben der Deutungen halten und damit die Bedingungen kontrollierbar machen, unter denen zeitrelevante Aussagen getroffen werden und nachher der Überprüfung standhalten, auch wenn die Entscheidungen zutiefst irrational und emotional getroffen wurden. Je länger wir uns damit beschäftigen, wie wir selbst zu Entscheidungen kommen und welche Voraussetzungen dabei für uns wichtig sind, desto mehr werden wir zu einem Experten für Handlungskontrolle, nicht nur für uns, sondern auch für andere, die unserer Expertise vertrauen. Die Sterne selbst sind dabei nur ein Hilfsmittel, ausdrücken zu helfen, was eigentlich unsagbar ist, denn wie sollen wir eine Wirkung der Sterne auf unsere Emotionen beschreiben, wenn wir nicht mal in der Lage sind, diese Emotionen adäquat zu beschreiben, geschweige denn ihr Zusammenspiel mit unseren Entscheidungsfindungen. 

 

Es ist klar, dass Astrologie versucht, über die Zeit selbst Kontrolle auszuüben, und damit stellt sich die Frage: Was ist Zeit und was will Sprache, wenn sie explizit in die Zeit verweist (was sie ja sowieso schon tut, indem sie Vorstellungen voraussetzt, die in der Vergangenheit liegen und in die Zukunft verweisen, indem sie einen Erwartungshorizont aufbauen.) Die selbstbezüglichen Paradoxa wären nur auflösbar, wenn man sich Aussagen denken könnte, die sich außerhalb der von der Astrologie und dem Kalenderwesen aufgeworfenen Zeitmuster und ihrem mythischen Hintergrund bewegen - und das ist geradezu undenkbar. Luhmann unterscheidet zwischen zeitlicher und sozialer Selektionsverstärkung der Systeme und den damit verbundenen Erwartungshaltungen an eine erfolgreiche Kommunikation, die sich im gewohnten Zeitablauf bewegen muss.[21] Psychische wie soziale Systeme folgen für ihn einer eigenen Zeit. Indem sie Kommunikationen aufbauen müssen, um Situationen zu verstehen, operieren sie innerhalb eigener Zeitabläufe, die im Kontrast zu der Zeit der Umwelt stehen. Die dadurch entstehende Differenz lädt zu Anschlussoperationen ein, jede Aussage des Systems über Zeit bringt die Frage auf, wann das Ereignis wirklich stattgefunden haben soll. Im sozialen Austausch werden darüber Einigungen vollzogen und Ereignisse wahrscheinlich gemacht, indem ihre Vorlaufoperationen rückwirkend in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden.

 

Unsere Vorstellungen sind in hohem Maße von der Erwartung zeitlicher Bildhaftigkeit, synchroner und periodischer Abläufe geprägt, die sich uns durch die Gewohnheit und Tradition aufdrängen. Wir werden normalerweise an Ostern nicht Weihnachten feiern, und Sonntagnacht keine Party anberaumen (es sei denn Montag ist Feiertag). Jede Zeit hat ihr Ritual und jeder Moment seine Magie, die vom sozialen Habitus vorgegeben wird. Unsere unterschiedlichen Empfindungen für das Zeitgeschehen sind geprägt von der Vorgabe, die möglichen Bedeutungen kreativ auszufüllen. Die Geschehnisse „vorauszusagen“ heißt eher, kulturelle Verpflichtung, Routinen und unhinterfragte Rituale ins Bewusstsein zu bringen und deren Paradoxie im Rahmen persönlicher Neigungen und Vorlieben aufzuzeigen. Die Sterne geben dem Gedeuteten eine „objektivierende Ebene“ die das Gesagte in der Zeit verifizierbar macht, darüber hinaus haben sie damit nichts zu tun, dass vieles in unserem Leben vorgegeben und damit berechenbar und den freien Willen einschränkend erscheint. Wir beschränken unser Schicksal aber ganz allein, dazu brauchen wir keine Sterne.

 

 


[1] Hans Georg Gadamer, Wahrheit und Methode

[2] Jens Mattern, Riceour, S. 33

[3] Jens Mattern, Ricoeur, S. 66, 67

[4] Jens Mattern, Ricouer, S. 70

[5] Die Schiffe von Kolumbus waren für die Eingeborenen angeblich unsichtbar, weil diese keinen Begriff dafür hatten. Es ist vergeblich, einem Menschen die Funktionsweise eines Ipod zu erklären, wenn dieser nicht einmal ein Handy bedienen kann. Das Ipod existiert für ihn nicht wirklich, weil er keine Begriffe für die Hauptfunktionen hat.

[6] http://www.wissiomed.de/mediapool/99/991570/data/Freier_Wille_Gehirnforschung.pdf  Vorstellungen, die Wissenschaftler durch die Jahrtausende über die Funktionen des Geistes gehabt haben.

[7] Deshalb ist (nach Paul Davis) die Aussage „Gott erschuf die Welt“ keine wirkliche Erklärung, wenn sie nicht auch das Verfahren beschreibt.

[8] Roland Barthes Die strukturalistische Tätigkeit, Kursbuch S. 190-196.

[10] Peter Prechtl, Edmund Husserl, S. 109

[11] Peter Prechtl, Edmund Husserl, S. 112

[12] Helmut Peukert, Wissenschaftstheorie, S. 385

[13] Marie Madelaine Davy, Gabriel Marcel, 1959 S.269

<ins><ins>[14]</ins></ins><ins> T.W. Adorn</ins><ins>o</ins><ins>, Sozi</ins>o<ins>logische Schriften, Band 8, S</ins>.<ins> 194</ins>

<ins><ins>[15]</ins></ins><ins> Alfred Schütz, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, §§29-41</ins>

[16] Wie gesagt halte ich Astrologie nicht für eine Therapiemethode, behavoiristische Absätze können durchaus Erfolge erzielen.

[17] Astrologie, Tarot, Kristallkugelsehen, Channeling, Heilkunde, Lebensberatung,  usw. werden oft durchmischt angeboten, so dass eine reine Identifikation astrologischer Arbeit momentan schwierig ist

[19] Und diese Paradoxie erzeugt einen Erwartungsdruck, der selbst wieder zum Thema wird…

[20] Niklas Luhmann, Was ist Mythos? 

[21] Niklas Luhmann, Soziologische Aufklärung, Band 1 S. 76