Webers Konzept

Astrologie gibt Idealbilder vor (dort meist ‚Archetypen‘ genannt), die in der Deutungsarbeit mit immer neuen Inhalten gefüllt werden. Der Löwe kann majestätisch und selbstbewusst zu sein, die Jungfrau fleißig und penibel. Sie muss es aber nicht. Es ist ein Vorschlag zur gesellschaftlichen Einigung. Determinierend ist nicht das Bild, sondern dessen Erfüllung in der Rolle. Die jeweilige Rolle orientiert sich an einem Idealtypus, wie er auch von Max Weber definiert worden ist. Er beschreibt in idealisierter Form Gattungsbegriffe der Gesellschaft, Ideen von Bildungs-Geschichten, sowie personale Relationen, die sich historisch systematisieren lassen. Diesen Ansatz möchte ich für die moderne Astrologie übernehmen, die sich um eine realitätsgetreue Abbildung der jeweiligen Gesellschaft bemühen sollte, in der sie tätig ist. Das heißt, Abstand nehmen von nicht belegbaren Modellen des Unbewussten und Idealisierung einer angeblich besseren Vorzeit und Orientierung an aktuellen Gesellschaftsmodellen, die Persönlichkeit des Menschen sowohl in einen Bezug zu den neuen Identitätstheorien der Neuro- und Sozialwissenschaften stellen, als auch zu seiner evolutionären Entwicklung (Sozialbiologie).[1]

Weber belegte, dass das westliche Vorbild von Staat, Bürokratie und kultureller Organisation wegweisend für das Denken der Neuzeit war.[2] Als Jurist und Geschichtsforscher sieht er deren Idealbilder als methodisches Mittel an, um zum Wesentlichen sozialer Beobachtung zu gelangen.[3] Vom Kindergarten über die Schule und Ausbildung, über die Gründung einer Familie und Eingliederung in die Arbeitswelt bis zur Ausbildung von differenzierten politischen, religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen orientieren wir uns an Idealtypen, die im Ringen um eine moderne Gesellschaft und eine friedlich organisierte Kultur entstanden sind.[4] Die dazugehörigen Rollen, etwa des mutigen Bloggers, des bürokratischen Erbsenzählers, des belesenen Bürgerrechtlers usw. dienen als Orientierung und Einstiegshilfe in die Strukturen der modernen Gesellschaft und damit der Entlastung und Orientierung;[5] sie erlauben aber auch Variation und eigenständige Interpretation durch Vorbilder anderer Kulturen.[6] Die Vorgabe eine Rolle hilft, der Totalität und Anonymität der Institutionen und den Auswirkungen des Kapitalismus zu begegnen und mit Adorno das Subjekt immer auch in seiner selbstbestimmten Entwicklung als Reflektierender dieser Totalität zu begreifen.



[1] Zu einer ‚westlichen‘ Astrologie gehört, sich von Glaubenssätzen östlichen Gedankenguts zunächst zurückzuhalten und unnötige Begründungszusammenhänge zu vermeiden.

[2] Es geht dabei nicht um einen Ethnozentrismus, der die Überlegenheit der westlichen Welt gegenüber ‘wilden Völkern’ beweisen will. Es geht um eine  realistische Beschreibung der Idealbilder, mit denen wir aufwachsen und ein Verstehen der westlichen Organisationen, wie sie unser Leben beeinflussen; mit all ihren Übeln, aber auch Möglichkeiten.

[3] Im Bauhaus wurden derartige Vorstellungen auch in der künstlerischen Umsetzung versucht, etwa in den Bildern von Oskar Schlemmer, die stilisierte seltsam puppenhaft wirkende Figuren in Treppenhäusern und Fabriken zeigen.

[4] Rolle und Idealtypus verhalten sich wie Signifikat und Signifikant. Das Signifikat ist dabei der ‘Inhalt’ des Signifikanten, auf den dieser verweist. Der Idealtypus gibt der Rolle ihre Bedeutung; in ihm wird symbolisch schon angelegt, was wir später durch Erwerb von Sprache als Rolle individuell ausdifferenzieren. Für Lacan ist das Symbol beliebig, es wird durch die kulturelle Praxis geformt und durch diese allein begründet.  

[5] Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Bonn 1956

[6] Impulse der Neuzeit gehen beispielsweise von den Emiraten aus, von chinesisch- japanischen Hi-Tech-Firmen, von russischer Selbstorganisation, von kreativen südamerikanischen Sozialsystemen, von indischer Religion und pazifischer Heilkunst.