Selbstbewusstsein und Differenzierung

 

Die 60 Wertevierecke sind nicht weiter aufzulösende Gegensatzpaare, Begriffskombinationen, die in allen Sprachen der Welt in ähnlichem Kontext verstanden werden. Sie enthalten jeweils zwei Begriffspaare, die sich auf doppelte Weise widersprechen, einmal über den diametralen Gegensatz in negativierender Form über Kreuz und einmal über die komplementäre Form der gleichen Ebene. Warum es z.B. Selbstbewusstsein nicht ohne Fähigkeit zur Differenzierung gibt, erklären die jeweiligen Gegensatzpaare. Vereinfachung ist eine Folge von fehlendem Selbstbewusstsein und ruft nach mehr Differenzierung. Umgekehrt ist die Unsicherheit eine Folge von fehlender Differenzierung und ruft wiederum danach, sich selbstbewusst für etwas zu entscheiden, wenn das Differenzieren nicht mehr weiterhilft. Wann immer wir Selbstbewusstsein oder Differenzierung sagen, denken wir diesen Mechanismus mit, egal ob wir ihn positiv oder negativ bezeichnen. Wo Zuviel Vereinfachung vorherrscht, braucht es früher oder später das Selbstbewusstsein, wieder mehr zu differenzieren. Ein vereinfachender Mensch ist immer auch jemand, der mehr Selbstbewusstsein entwickeln muss. Dann wird er auch wieder in der Lage sein, mehr zu differenzieren.

 

Es ist sozusagen in unserer Sprache angelegt, dass wir Selbstbewusstsein und Differenzierung durch ihre gegenseitige Negierbarkeit ineinander überführen können. Wann immer eines dieser vier Schlüsselwörter fällt, erscheint der gesamte Deutungsblock. Man kann gewissermaßen vorhersagen, dass bei fehlender Differenzierung irgendwann die Frage nach Selbstbewusstsein aufkommt und umgekehrt. Die ‘Gefühle und Emotionen’ der Vereinfachung  sind Unsicherheit sind wichtige Anzeiger für die Bedeutung des Gesagten, wenn über Selbstbewusstsein oder Differenzierung gesprochen wird.

 

Selbstbewusstsein <ins></ins>

Differenzierung <ins></ins>

Vereinfachung <ins></ins>

Unsicherheit <ins></ins>

 

 

 

 

 

<ins>Die Wertung der negativen Begriffe liegt bei dem Anderen</ins>, ob er meine Unsicherheit als anstößig empfindet ist seine Entscheidung. <ins>Die Negation spielt einen Ball zu, den</ins> man auffangen kann oder nicht. Unsicherheit <ins>kann positiv gesehen </ins>als Versuch der<ins> </ins>Differenzierung<ins> ausgelegt werden. Durch die Verwendung der negativen Variante drücke ich</ins><ins> ein eigenes Bedürfnis aus, einen Wunsch nach mehr </ins>Selbstbewusstsein <ins>(meist beim anderen) oder </ins>Differenzierung<ins> (bei mir selbst). Die Äußerung des negativen Begriffs ist ein Angebot, ein Ausrichten der Antenne, um die eigene Betroffenheit kommun</ins>i<ins>zierbar zu </ins><ins>machen. Die Einbindung in eine </ins>einheitliche<ins> Matrix bereitet den Kontext vor</ins>. W<ins>o von </ins>Zuständen der Vereinfachung und Unsicherheit<ins> gesprochen wird, geht es um ei</ins>n mythologisches Urmuster, das in variabler Form auftritt. Die dazugehörigen Planeten Sonne und Merkur bringen uns auf die Spur der Ursymbole.

 

 

Sonne <ins></ins>

Merkur  <ins></ins>

Pluto <ins></ins>

Mond <ins></ins>

 

 

 

 

 

Ein zu dieser Dichotomie passendes Bild ist das des Denkers, der grübelnd den Kopf auf seine Hand gestützt dasitzt, ein merkurischer  Charakter. Seine Rettung ist der erlösende Einfall, was er als nächstes tun könnte, eine Inspiration durch einen Sonnenstrahl, der ihn in der Freude die Entdeckung seines eigenen Selbstbewusstseins treffen wird. Das Charakteristikum der Differenzierung für den Planeten Merkur tritt im Zusammenhang mit Sonneneigenschaften auf. Dies wird deutlich, wenn man es von der anderen Seite betrachtet und fragt: Was macht der Merkur mit der Sonne? Sonnentypen sind in der Astrologie lebensfroh und stehen gerne im Mittelpunkt. Durch Merkur sind sie in Gefahr, in Selbstzweifel gezogen zu werden und in Unsicherheit zu verfallen. Doch genau dies ist der Mechanismus des Erwerbs von Selbstbewusstsein. Es braucht einen Merkur, einen kritischen Geist, um in der Sonne die Eigenschaft des Selbstbewusstseins hervorzubringen. Die Planeten haben keine Wirkung für sich, sondern nur in einem dialektischen Zusammenhang, der durch die Verwendung der Sprache in einer bestimmten Situation vorgegeben ist. <ins></ins>

 

Nicht alle negativen Eigenschaften stehen in Einklang mit der klassischen Bedeutung der Astrologie. Vereinfachung wird wohl eher als Saturneigenschaft gesehen und nicht als die des Plutos. In den ‘klassischen Zuordnungen’ werden allerdings Saturn sowieso die meisten negativen Eigenschaften zugeschrieben und diese Tradition wird in der Moderne mit dem ‘Sündenbock’ Pluto weiter betrieben. Die Dichotomien zeigen, dass jeder Planet 10 positive Werte und 10 negative besetzt, die miteinander in Verbindung stehen. Die Eigenschaft des Planeten entsteht durch den Kontext, in dem er mit einem anderen Planeten steht, das Selbstbewusstsein ist genau wie das der Fähigkeit zur Differenzierung eine Eigenschaft, die sich erst aus dem Zusammenspiel von Sonne, Merkur, Mond und Pluto ergibt.

 

Es gibt also keine ‘Charaktereigenschaft’ wie Selbstbewusstsein, die man irgendwie messen könnte oder gar aus den Sternen ablesen. Das Merkmal entsteht situationsbedingt aus dem Kontext, den wir aus unserer selektierten Wahrnehmung interpretieren. Ein Mensch mit einer starken Sonnenbetonung im Horoskop erscheint uns vielleicht dann besonders selbstbewusst, wenn er unseren eigenen Intellekt anregt. Ansonsten nervt er vielleicht. Und erscheint eher simpel als selbstbewusst. Die einzelnen Horoskopanteile kommen in unterschiedlichen Phasen des Lebens anders zur Geltung. Es sind niemals die einzelnen Konstellationen, die eine ‘Wirkung’ entfalten, sondern Komplexe aus verschiedenen Planeten, die in einer Situation relevant werden und damit auch niemals vorhersehbar sind. Was wir als Selbstbewusstsein interpretieren ist ein Zusammenspiel aus eigenen Anschauungen, Forderungen der Umwelt und beobachteten ‚merkurischen Merkmalen‘ bei anderen Menschen. Entscheidend ist, dass das Selbstbewusstsein innerhalb der Sprachmatrix, die wir als Astrologen gebrauchen, in Folge von Konstellationen erscheint, die mit den Planeten Merkur und Sonne zu tun haben, bzw. ihren beiden Dualen, Pluto und Mond.

 

Selbstbewusstsein ist ein Sonnenmerkmal (im Zusammenspiel mit dem Merkur), Differenzierungsvermögen ein Merkurmerkmal (im Zusammenspiel mit der Sonne), Neigung zur Vereinfachung das negative Pendant des Plutos und Unsicherheit das negative Pendant des Mondes (man betrachte die Karte des Mondes im Tarot). Die Gegensätze lösen sich dadurch auf, dass derselbe Planet als negative Eigenschaft eine entgegengesetzte Wirkung einnehmen kann, die aber durch die Feinheit der Sprache nicht diametral entgegengesetzt ist, sondern so verstanden werden kann, dass sie auch eine konstruktive Interpretation erlaubt. Wenn ein Denker zu einem autoritären Leiter sagt, dass ihm etwas zu wenig differenziert ist, dann spricht er auch von seiner eigenen Unsicherheit und auf einer Metaebene von Gefühlen, die der andere nicht sehen kann. Schnell fühlt er sich übergangen oder verinnerlicht seine eigene Unsicherheit als Persönlichkeitsfehler, anstatt selbstbewusst zu seiner Meinung zu stehen.

 

Und wenn eine selbstbewusste Autorität vor übertriebener Kompliziertheit des Denkens warnt, dann will er auf die Vorzüge hinweisen, die er in dem Zeichen von Selbstbewusstsein sieht und keine Diskussionen starten. Verstehen kann man das nur, wenn man die Bedeutung aus dem größeren Zusammenhang erkennt und nicht mehr hineininterpretiert als ist. Denn schnell kann man auf den Gedanken kommen, dass das zur Schau getragene Selbstbewusstsein nur Mankos überdecken soll. Vereinfachung der Situation kann manchmal hilfreich sein, wenn das Abwägen der Möglichkeiten nur noch theoretische Blüten hervorbringt und keine praktische Relevanz mehr besitzt.

 

Die Dichotomien sind uns meist nicht bewusst, sie werden durch emotionale Auseinandersetzung von klein auf eingeübt. Kinder können mit dem übertriebenen Selbstbewusstsein eines ihrer Spielkameraden umgehen und seinen Hang zur Vereinfachung integrieren, indem sie keine unnötigen zusätzlichen Komplikationen schaffen. Von ihnen wird noch keine großartige Fähigkeit zur Differenzierung erwartet. Als Erwachsene aber sehen wir überall Gefahren lauern bei vereinfachenden Parolen und müssen uns mit der Emotionen der Unsicherheit auseinandersetzen. Wir müssen positiv lernen, dass nicht jede Vereinfachung und übertriebene Zurschaustellung von Selbstbewusstsein gleich eine Gefahr darstellt. Aber wir müssen auch ganz genau unsere Antennen danach ausrichten, wo nicht mehr genug differenziert wird und wo die Unsicherheit des anderen genommen wird, um ihn zu unterdrücken.

 

Sonne<ins> und </ins>Merkur<ins> bilden die Antinomie von </ins>‘differenziertem Selbstbewusstsein’<ins>, die deutlich mach</ins>t<ins>, dass es kein </ins>‘<ins>reine</ins>s<ins> </ins>Selbstbewusstsein’<ins> gibt, sondern diese immer in Relation zu</ins>r<ins> notwendigen </ins>Differenzierung des Sachverhalts<ins> steht. Beispielsweise hat </ins>die 68er <ins>Generation anderen Begriff </ins>von Differenzierung<ins> als </ins>die ‚Generation Praktikum‘ der 00er Jahre.<ins> Während es für die Ersteren darum g</ins>ing, gesellschaftliche Phänomene und falsche Autoritäten kritisch zu hinterfragen, ist von den letzteren eine viel höhere Anpassungsleistung gefordert. Dementsprechend verschiebt sich die Thematik der Differenzierung. Autorität wird von den jungen Menschen nicht grundsätzlich als etwas Negatives abgelehnt, doch besteht eine viel höhere Erwartung an deren Integrität und Qualifikation.<ins> Es wird klar, dass astrologische Aussagen</ins> zeitabhängig sind und die Deutungen nicht abgetrennt vom sozialen Kontext stehen. Es geht nicht um die<ins> Erfassung von </ins>absoluten ‘<ins>Charaktereigenschaften</ins>’, (es gibt keine direkt kausale Verbindung zwischen Selbstbewusstsein, Person<ins> </ins>und<ins> S</ins>onne), sondern um die jeweilige ‘Emotions-Grammatik’ der Dichotomie von Selbstbewusstsein und Differenzierungsvermögen, bzw. Neigung zur Vereinfachung und Unsicherheit in der spezifischen Situation. Das Horoskop zeigt uns an, wie wir diese im Zusammenhang interpretieren können.

 

 

Die Dual-Dichotomie

 

Als nächstes kommen die Dualplaneten von Sonne und Merkur ins Spiel. Mond und Pluto bilden eine zweite Dichotomie, die im Zusammenhang mit der von Sonne und Merkur steht. Konsequenz und Mitgefühlsind die beiden Komplementärtugenden zu Selbstbewusstsein und Differenzierung. Alle vier bedingen einander, heben die scheinbaren Widersprüche auf und bilden einen Interpretationsfaden, an dem sich astrologisch-psychologische Deutung orientiert. Indem ich einen Satz beginne: ‘Im fehlenden Mitgefühl…’, dann ergänzt nicht das Gehirn unserer Zuhörer, etwas wie: ‘drückt sich auch mangelndes Selbstbewusstsein aus’ oder ‘kam seine ganze Verachtung zum Ausdruck’ oder ‘zeigt sich seine ambivalente Einstellung’ usw. Es zeigt sich etwas, das mit Selbstbewusstsein und Differenzierungsvermögen zusammenhängt.

 

 

 

Mitgefühl

Mond

Konsequenz

Pluto

Ambivalenz

Merkur

Kompensation

Sonne

 

 

 

Die Begriffe sind kreuzweise ineinander überführbar und erscheinen als Stufen von Wertungen. Selbstbewusstsein ist der Konsequenz ähnlich (obwohl die dazugehörigen Planeten Sonne und Pluto sehr unterschiedlicher Natur sind). Als selbstbewusst kann man auch einen Menschen bezeichnen, der konsequent undurchsichtige Situationen besteht. Dadurch kann aber auch Ambivalenz entstehen, die wiederum mit dem Antipoden des Merkurs (Mitgefühl = Differenzierung) in Kontrast steht. Mitgefühl könnte man also auch dialektisch als Gegenteil von Verachtung beschreiben, die aus übertriebener Konsequenz oder übertriebenen Selbstbewusstsein entstanden ist. Menschen mit einer Betonung dieser vier Planeten werden die Erfahrung kennen, dass ihre Bemühungen negativ bewertet werden und ihnen gerade dann mangelndes Einfühlungsvermögen vorgeworfen wird, wenn sie sich besonders engagieren. Es geht darum, seine eigene Widersprüchlichkeit wahrnehmen zu können und Fehler ganz genau zu analysieren und zu differenzieren zwischen plumpen Angriffen und wirklicher Kritik.

 

Auf einer dritten Ebene sind die Begriffe als Überhöhungen zu verstehen. Sie bilde nicht nur Gegensätze und Dichotomien, sondern auch Kompensationen ab durch den Begriff, der schräg gegenüber in der Komplementär-Dichotomie steht. Zuviel Selbstbewusstsein führt zu Verachtung (und beschwört damit Mitgefühl herauf). Zuviel Differenzieren führt zu Ambivalenz und Unentschlossenheit. Zuviel Mitgefühl zu Unsicherheit und zu viel Konsequenz zu Vereinfachung. So bildet sich ein geschlossenes Ganzes, das in sich logisch ist, und alle drei Formen von Negierung möglich, ohne in einen Widerspruch zu geraten.

 

 

Der Archetyp

 

Die eben angesprochen Eigenschaften gehören zu dem Archetyp der Sonne (zur Einteilung im nächsten Kapitel). Sie sind in der Graphik orange eingezeichnet. Es gibt noch ein zweites orangenes Kästchen, das ebenfalls zum Sonnenarchetypen zu rechnen ist. Es sind dieselben vier Planeten in der anderen möglichen Anordnung (die zwei Dualplaneten Sonne/Mond und Merkur/Pluto können ja per Definition keine Dichotomie bilden, sie sind die Grundlage der Dichotomiebildung).

 

 

Mond

Romantik

Pluto

Sentimentalität

Merkur

Aktualität

Sonne

Verdinglichung

Sonne

Präsenz

Merkur

Indifferenz

Pluto

Wille

Mond

Verdrängung

 

 

Die Begriffe haben einen Bezug zum anderen orangenen Kästchen, sie weisen Ähnlichkeiten auf. Die Sonne steht einmal für Selbstbewusstsein, einmal für Präsenz. Der Mond für Romantik und Mitgefühl, der Merkur für Differenzierung und Aktualität und der Pluto für Konsequenz und Wille. Auch in der anderen Zusammensetzung funktionieren die dreifachen Verneinungen. Das Gegenteil von Romantik ist Verdinglichung und diese führt zu Aktualität. Das Gegenteil von Aktualität ist Sentimentalität und führt zu Romantik. Zuviel Romantik aber führt zu Kompensation und zu viel Aktualität zu Indifferenz.

 

Um in der Präsenz (Sonne) zu bleiben braucht es gleichzeitig komplementäre Willensbildung (Pluto). Ohne ein Verlangen nach etwas, kann es keine Fokussierung auf der Hier und Jetzt geben. Wir sehen, dass die Planeten, die hier ein duales Gegensatzpaar bildet, in der anderen Dichotomie ein Ähnlichkeitspaar bildete (Selbstbewusstsein (Sonne) und Konsequenz (Pluto).  Auch Romantik und Aktualität bedingen sich in ihrem Antagonismus. Die Gegenwart hat immer auch einen Anker im Vergangenen, in der Erinnerung, die uns als Mensch ausmacht. Ohne Erinnerung keine Vorstellung von Zeit und damit auch keine Unterscheidung einer Aktualität. Wir sehen, dass die Begriffe menschlicher Sprache sehr präzise beschrieben werden müssen, um ihre Bedeutung in Bezug auf unterschiedliche Verhältnisse sauber auszudrücken.

 

Jeder Begriff hat seinen Platz in einer unter der Sprache liegenden Matrix. Weil diese sich nach einem astrologischen Schlüssel (bzw. nach einer einheitlichen 12er Matrix) aufbaut, kann der Astrologe so genaue Beschreibungen innerer und äußerer Befindlichkeiten abgeben. Wir können die Welt beschreiben wie wir wollen, wir können fühlen was wir wollen und wir können tun, was wir wollen, aber nicht außerhalb der Matrix dieser Begrifflichkeit kommunizieren. Insofern und nur darin sind wir determiniert.